Berichterstattung aus den unter Kontrolle des Regimes und seiner Verbündeten stehenden Teilen Syriens ist eine gewaltige Herausforderung. Es bedeutet in einem Stasi-Staat zu arbeiten, in dem Reportern Aufpasser an die Seite gestellt werden, die einem auf Schritt und Tritt folgen. Nicht selten sind gewisse Orte nur im Rahmen staatlich organisierter Pressereisen mit festem Programm erreichbar. Die Interviewpartner sind sozialem und staatlichen Druck ausgesetzten, müssen fürchten für einen falschen Satz bestraft zu werden – oder sie wurden bereits im Vornherein handverlesen. Viele Journalisten sind an diesen Hindernissen über die Jahre gescheitert. In den letzten Wochen ist es jedoch mehreren Autoren gelungen trotz allem exzellenten Journalismus zu produzieren.
Robert F. Worth etwa, der für das New York Times Magazine nach Aleppo gereist ist. Brillant zeichnet er nach, wie der Aufstand nach Aleppo kam, wie sich die Aufständischen bis hin zur Handlungsunfähigkeit selbst zerlegten, wie Fragmentierung, Korruption und Internationalisierung letztlich dem Regime und seinen Verbündeten den Weg für die Rückeroberung der Stadt ebneten. Und er schreibt über Begegnungen mit Menschen, die weder mit dem Narrativ der Opposition, noch dem des Regimes viel anfangen können.
Im Magazin Foreign Policy berichtet Jonathan Spyer über seine Erfahrungen in Damaskus. Vor allem ein Ereignis, so der Autor, würde die heute in Syrien vorherrschenden Machtverhältnisse illustrieren: Als sich einige Teilnehmer der vom syrischen Informationsministerium organisierten Pressereise einen Drink genehmigen wollen, eskaliert ein Streit. Plötzlich zieht ein russischer „Journalist“, begleitet von einem uniformierten russischen Soldaten, eine Pistole, hält sie erst einem Mitglied der Delegation an den Kopf und bedroht dann Mitarbeiter des Hotels. Die anderen Beteiligten wollen den Vorfall dem syrischen Sicherheitsdienst melden, doch als man dort erfährt, dass sich die Klage gegen einen Russen richtet, heißt es, dass man unter diesen Umständen nichts tun könne.
Syrien, so Spyer, existiere nicht mehr und ein Friede sei nicht in Sicht. Das Überleben des Assad-Regimes sei zwar durch das russische und iranische Eingreifen gesichert, doch auch die Aufständischen seien keineswegs geschlagen. Eine politische Lösung hält der Autor für unrealistisch, keiner der Offiziellen des Assad-Regimes habe einen Plan, wie man das Land wieder vereinen könne – eine Spaltung des Landes sei kaum abzuwenden. Und wenn heute noch einer die Macht habe, dann seien es nicht Assad und seine Schergen, sondern Russland und der Iran.
Ebenfalls aus den Gebieten des Regimes berichtet The Nation. Die syrische Autorin, die unter dem Pseudonym Alimar Lazkani schreibt, lässt Menschen aus Tartous zu Wort kommen, der einst stolzen Hafenstadt im Kernland des Assad-Regimes. Obwohl der Krieg die Stadt kaum direkt betroffen hat, beklagen ihre Einwohner einen exorbitanten Blutzoll – denn aus kaum einer anderen Region wurden so viele junge Männer als Soldaten an der Front verheizt. Viele glaubten, dass Assad sein Volk betrogen habe, indem er seine Jugend in einen langen und sinnlosen Krieg geschickt habe. Kaum eine Familie hat die letzten sechs Jahre durchlebt, ohne einen Sohn oder Ehemann verloren zu haben. „Sie töten die Söhne der Armen, um die Korrupten an der Macht zu halten“, klagt ein junger Mann. Keiner könne noch seine politische Meinung äußern, schwarze Listen würden zirkulieren, Männer würden zwangsrekrutiert. Heute, so die Autorin, beherrschten Frustration und Trauer die Stadt.
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Für Syria Deeply fasst Lorenzo Trombetta zusammen, warum die von Russland, der Türkei und dem Iran beschlossenen „Deeskalationszonen“ der Aufteilung des Landes gemäß der Interessen der ausländischen Interventionsmächte den Weg bereiten.
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Dutzende syrische Profifußballer sind in den letzten Jahre getötet worden. Für ESPN berichtet Steve Fainaru über „den Kampf um die Seele des syrischen Fußballs“. Dieser ist zu einem politischen Instrument des Assad-Regimes geworden und der Weltverband FIFA unterstütze Damaskus dabei, dieses Instrument für seine Zwecke einzusetzen. Fainaru trifft Fußballer und Menschenrechtler und beschreibt den Druck, dem die Nationalspieler ausgesetzt sind. „Wie auch immer ich mich entscheide“, sagt ein Spieler über die Frage, ob er wieder für die Nationalmannschaft auflaufen soll, „12 Millionen Syrer werden mich lieben, die anderen 12 Millionen werden mich töten wollen.“
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Die libanesische TV-Journalistin Jenan Moussa hat mehrere oppositionelle Medienaktivisten nach Idlib geschickt, um heimlich das Leben unter dem Regime der extremistischen Gruppen Jabhat al-Nusra, Ahrar al-Sham und Islamische Turkestan-Partei zu filmen. Sie berichten über Scharia-Gerichte, Religionspolizisten, Foltergefängnisse und Bücher, die erklären, wie mit weiblichen Sklaven zu verfahren sei.
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Für die taz schreibt Kristin Helberg über die Strafanzeige, die von syrischen Folteropfern mithilfe des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) angestrengt wurde. Dank des sogenannten Weltrechtsprinzip können deutsche Gerichte diese Verbrechen verfolgen – nun begannen die Zeugenvernehmungen durch den Bundesanwalt.