Raqqa lässt sich die Revolution nicht stehlen, Falschmeldung im syrischen Staatsfernsehen, warum Russland seine Flotte aus Syrien abzieht – Netzschau vom 30. Juni

Dahi Hussain berichtet für Lebanon.Now aus dem von Assads Truppen befreiten Raqqa über die „zweite Revolution“ gegen die sich festigende Herrschaft von Jabhat al-Nusra (JAN). Die Bewohner der Stadt berichten, wie sie vor einigen Wochen von JAN und Ahrar al-Sham „befreit“ wurden und was sich seitdem verändert hat. Wieder stehen sie nun mit der Unabhängigkeitsflagge […]

Dahi Hussain berichtet für Lebanon.Now aus dem von Assads Truppen befreiten Raqqa über die „zweite Revolution“ gegen die sich festigende Herrschaft von Jabhat al-Nusra (JAN). Die Bewohner der Stadt berichten, wie sie vor einigen Wochen von JAN und Ahrar al-Sham „befreit“ wurden und was sich seitdem verändert hat. Wieder stehen sie nun mit der Unabhängigkeitsflagge auf den Straßen und demonstrieren, wieder sprühen sie Parolen an die Wände gegen die „erneute Diktatur“, wie sie es bereits nennen. Ein Bewohner berichtet: „Damals waren wir total glücklich als die Einheiten des Regimemilitärs und dessen Sicherheitskräfte aus der Stadt flohen. Aber diese Freude ist sofort verflogen als wir bei den Befreiern nach der Unabhängigkeitsflagge suchten. […] Damals hatten wir nicht begriffen, dass jene, die unserer Stadt befreiten, jene sind, die uns von neuem besetzen werden.“ Es gibt aber auch jene wie Ahmad al-Fati, der sich ursprünglich JAN angeschlossen hatte und dann aber zum unbewaffneten Kampf zurückkehrte. Ahmad gibt einen Einblick in die Stärke der zivilen Bewegung in Raqqa: „Die meisten der Bewohner Raqqas sind bereit in Konfrontation mit dem neuen System zu treten“. Er fährt fort: „Wir konnten uns wirklich gegen „al-Jabha“ und „al-Ahrar“ stellen, welche sich daraufhin sofort in ihre Basis im Herzen der Stadt zurückzogen. Wir haben die ganze Zeit durchgehalten gegen das syrische Regime, und wir werden nicht zulassen, dass die Militärherrschaft dieser Militanten, uns ihre Diktatur aufzwingt. Seit damals hat sich ihre Umgangsweise mit uns verändert und sie haben die Kommunikation mit den Zivilisten abgebrochen“.

Dahi Hussain macht deutlich: Das Leben heute in Raqqa entspricht nicht dem, was die Medien transportieren. Jugendliche verbringen ihre Zeit auf den Straßen. Frauen laufen auf den Straßen und gehen in Cafés ein und aus, auch zu später Stunde. „ Ich habe den Schleier in den ersten Tagen der Befreiung abgelegt. Ich wusste nicht, was die Reaktion darauf seitens „Jabha“ sein würde damals. Ich habe ihn jedoch am fünften Tag [der Befreiung] abgelegt und keiner hat sich mir entgegengestellt“, berichtet eine Bewohnerin. Die Lebanon.Now Journalistin berichtet weiter: Die Gespräche der Leute sind eine Mischung aus Depression und Wut gegenüber den derzeitigen Machthabern. Gleichzeitig sind sie aber stolz auf die Befreiung der Stadt. Sie werden ihre Geschichte vor der Befreiung mit Freunde und Optimismus erzählen: „ Das ist unsere Revolution und wir werden nicht zulassen, dass jemand sie uns stiehlt.“

Am Donnerstag kam es zu einem Selbstmordattentat in der Altstadt von Damaskus, im Bezirk Bab Sharqi. Das syrische Staatsfernsehen berichtete daraufhin, dass es sich hierbei um einen (islamistischen) Takfiri-Attentäter von JAN handele, darauf anspielend, dass Bab Sharqi ein überwiegend von Christen bewohntes Viertel ist und der Anschlag dementsprechend aus konfessionellen Gründen geschehe und der Attentäter darüber hinaus die Einstellung vertrete, dass Christen als Ungläubige zu sehen sind und dementsprechend „vogelfrei“ seien. Der oppositionelle Sender „Orient News“ berichtet jedoch, dass die Identität des Attentäters aufgeklärt werden konnte. Hiernach handelt es sich bei dem Attentäter um einen katholischen Christen, wie auch dessen Familie bestätigte.

Lina Sinjab beschreibt in ihrem audio-Tagebuch für die BBC den bizarren Alltag in Damaskus: „Wir beobachten die Schafschützen und machen währenddessen ein Barbecue. […] Es ist merkwürdig, wie dich Krieg dein Leben und jede Person in deinem Leben mehr schätzen lässt. Man erzählt sich immer persönlichere Geschichten.“ Sie macht klar, dass das auch eine Überlebensstrategie ist: „Wir können es uns gar nicht leisten depressiv oder schwach zu werden.“

„Wir versuchen den Kindern eine andere Einstellung beizubringen, als jene der vergangenen Generationen“, beschreibt ein Aktivist seine Arbeit in einer Schule für Vertriebene einem Al-Jazeera Reporter. Die Situation in der Schule und im Camp zeigt wie verschwommen die Situation in Syrien dieser Tage oft ist. So wohnen die Freiwilligen, die in der Schule unterrichten, in vom Regime-gehaltenen Gebieten, sie können deswegen nicht gefilmt werden. Denn humanitäre Hilfe außerhalb der vom Regime-gehaltenen Gebiete zu leisten, wird vom Regime hart bestraft. Es gibt in dem Camp auch zwei verfeindete bewaffnete Familien, weswegen die Situation nicht stabil ist und der Unterricht teilweise sogar ausgesetzt werden muss. „Viele in meinem Alter gehen in die Golf-Staaten arbeiten und setzen ihr Leben dort fort“, berichtet der Aktivist, „wenn aber alle aus meiner Generation gehen würden, wer würde diesen Menschen hier helfen?“

Der Christen Science Monitor diskutiert die Frage, “Warum Russland seine Seeflotte aus Syrien evakuiert hat”. So habe Russland sein militärisches und nicht-diplomatisches ziviles Personal aus Syrien abgezogen. Dazu gehört die Militärflotte in Tartus, welche oft als Hauptgrund für Russlands „sture Unterstützung“ für al-Asad angesehen wurde.

Hamas hatte Syrien bereits 2011 verlassen, die Hisbollah hingegen steht weiterhin auf der Seite des syrischen Regimes und unterstützt es sogar mit Kämpfern. Qassem Qassem geht in Al-Akhbar der Frage nach, wie es denn tatsächlich mit der Beziehung der beiden Organisationen aussieht und kommt zu dem Schluss, dass es trotz aller Differenzen noch Koordination zwischen beiden gibt. Quellen zu Folge war die Hamas auch am Kampf um Qussair beteiligt. Es gibt auch Vermutungen, dass es aktive Hamas-Kämpfer auf der Seite der Opposition gibt. Dies bestreitet Hamas bislang. Trotz aller Dispute vergewisserte Hamas, dafür zu sorgen, dass Hisbollah-Hilfsgüter nicht mehr – wie zuvor im libanesischen Flüchtlingslager Ain al-Hilweh geschehen- verbrannt werden, entsprechend der Argumentation, dass: „no matter what Hezbollah does, it remains an Islamic faction that must not be declared an apostate“.

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