Schreckensnachrichten: Wie du nicht hilflos bleibst

Krieg und Krisen bestimmen die Nachrichten. Die Neurowissenschaftlerin Maren Urner erklärt im Interview, wie wir dabei nicht in die sogenannte erlernte Hilflosigkeit fallen.

Erdbeben, Krieg und Hungersnot – in diesem Jahr sind die schrecklichen Nachrichten nicht abgerissen. Was kann das in Menschen auslösen?

Die Überrepräsentation von schlechten Nachrichten kann zu einem zu negativen Weltbild führen, das nicht der Realität entspricht. Auch die sogenannte erlernte Hilflosigkeit ist eine mögliche Konsequenz. Menschen fühlen dann, dass sie gegen die vielen Herausforderungen und Probleme in der Welt nichts tun können. Als Folge wenden sich einige komplett von den Nachrichten ab. Das andere Extrem ist “Doomscrolling”. Dabei können sich Menschen nicht mehr von schlechten Nachrichten lösen und verbringen viele Stunden damit, durch schreckliche Nachrichten und Bilder zu scrollen. Auch das kann in Hilflosigkeit und Passivität enden. 

Warum ist es nicht hilfreich, einfach abzuschalten?

Um gegen das Gefühl der Hilflosigkeit anzugehen, brauche ich Handlungsoptionen. Da sind wir beim Stichwort Medien-Hygiene. Wir sollten uns nicht nur fragen, wie viel wir konsumieren, sondern vor allem was und wie. 2013 fragte die CBS-Reporterin Margaret Brennan den damaligen US-Außenminister John Kerry bezogen auf die mögliche Eskalation in Syrien einmal: Gibt es zu diesem Zeitpunkt etwas, was seine [Assads] Regierung tun oder anbieten könnte, das einen Angriff verhindern würde? Damit hat sie sehr wahrscheinlich einen konstruktiven Diskurs stimuliert. Ein Journalismus, der Lösungen und Ansätze für die Zukunft bespricht, ist in herausfordernden Situationen wie der Kriegs- und Krisenberichterstattung wichtig und macht handlungsfähiger. Der hat auch einen Namen: Konstruktiver Journalismus.

In Syrien herrscht seit 12 Jahren Krieg. Wäre es nicht zynisch, den Fokus auf konstruktive Nachrichten aus Syrien zu legen, wenn parallel Bomben auf Städte fallen?

Wenn wir nur schreckliche Situationen sehen, gewöhnt sich unser Gehirn daran und wir resignieren eher. Ich sage nicht, dass es nur positive oder einseitige Nachrichten geben soll. Dennoch ist es wichtig, die vielen kleineren Geschichten von Menschen zu erzählen, die etwas ändern wollen. Ihre Beispiele zeigen, wie wir eben nicht in die erlernte Hilflosigkeit hineinfallen. Ich denke zum Beispiel an den Beitrag einer Kollegin über die Architektin Marwa Al-Sabouni in Syrien, die sich Gedanken zum Wiederaufbau machte. Das bedeutet nicht, dass wir uns von dem, was tatsächlich passiert, abwenden sollen. Aber es hilft auch, die großen, machtpolitischen Fragen aus der Brille des Konstruktiven Journalismus anzugehen.

Die internationale Öffentlichkeit schaut nur noch punktuell nach Syrien. Was wäre ein konstruktiver Weg, mit den Schreckensnachrichten langfristig umzugehen, der gleichzeitig den Betroffenen hilft?

Die wichtigste Zutat: Empathie und Nähe schaffen. Je weiter weg Dinge passieren, umso schwieriger ist es, Brücken zu bauen. Das ist die große Herausforderung der Kriegsberichterstattung. Sie muss Anknüpfungspunkte zur eigenen Realität und zum Alltag der Menschen hier und dort schaffen. Wo ist der sogenannte kleinste gemeinsame Nenner? Was verbindet einander? Es braucht konkrete Geschichten über Menschen, die geteilte Emotionen, Fähigkeiten, Tätigkeit oder Eigenschaften vermitteln.