Proteste im Sudan 2019

Warum #SudanUprising weitergeht

Im April 2019 wurde Sudans langjähriger Diktator Omar Bashir abgesetzt. Aber die Proteste gehen weiter. Warum? Eman Noreen* von der Initiative #SudanUprising hat es uns erklärt.

Proteste im Sudan 2019

Eman Noreen* wuchs in Darfur im Sudan auf, studierte in Karthoum und war viele Jahre in der Protestbewegung gegen die Diktatur Omar al Bashirs aktiv. Nach mehreren Inhaftierungen floh sie zunächst nach Ägypten. Heute lebt sie in Berlin und engagiert sich in der Initiative SudanUprising. Wir haben mit Ihr über die aktuelle Lage und die Kampagne #Endjanjaweed gesprochen.

Im Sudan hat die Protestbewegung einiges erreicht – im April 2019 musste Omar al Bashir nach 30 Jahren brutaler Herrschaft abtreten und das Militär musste zumindest einen Teil der Macht an die Opposition abgeben. War die Revolution also erfolgreich?

Ich glaube nicht an halbe Sachen. Wir wissen genau, wer auf unserer Seite steht und wer nicht. An der aktuellen Regierung sind immer noch die Generäle des Regimes von Omar al Bashir beteiligt, etwa Abdel Fattah al-Burhan oder Mohammed „Hemedti“ Hamdan Dagalo, ein Jandjaweed-Milizenführer, der die Rapid Support Forces (RSF) befehligt, die aus den Jandjaweed hervorgegangen. Er und diese Milizen verantworten schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur und anderswo.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Bonus-Pakets zur Adopt-Zeitung 2020

Ich bin selbst in Darfur aufgewachsen, wo 2002 der Darfur-Krieg ausbrach. Der Konflikt hat mich stark politisiert. Als Schülerin und später als Studentin in Karthoum habe ich mich für die Interessen der Menschen in Darfur und gegen das islamistische, von den Muslimbrüdern geprägte Regime al Bashirs eingesetzt. 2012 und 2013 habe ich mich an den Aufständen beteiligt und wurde deshalb mehrmals kurzzeitig inhaftiert. 2013 kam ich für 40 Tage in Haft und wurde dort gefoltert. Schließlich musste ich das Land verlassen. Erst lebte ich in Ägypten,  2016 kam ich dann nach Deutschland. Jetzt versuche ich von hier aus Bewusstsein für die Lage im Sudan zu schaffen.

In der Kampagne #EndJandjaweed werft ihr der EU vor, die aus den Jandjaweed-Milizen hervorgegangenen RSF zu unterstützen. Um was geht es dabei genau?  

Die RSF agiert unter anderem als eine Art Grenzschutztruppe. Und die EU versucht unter anderem im Rahmen des „Karthoum Process“ alles, um Geflüchtete auf dem Weg nach Europa aufzuhalten. Viele Geflüchtete, etwa aus Eritrea und Äthiopien, müssen durch den Sudan, um nach Libyen zu gelangen, von wo aus sie die Flucht über das Meer versuchen. Wir beobachten, dass die RSF, die eigentlich im Westen des Sudans stationiert sind, mittlerweile auch im Osten an der Grenze zu Eritrea stark präsent sind. Das ist kein Zufall. Wir müssen zeigen, dass die Politik der „Externalisierung“ der EU-Grenzen dazu führt, dass Milizen wie die RSF gestärkt und unterstützt werden. Dabei sind diese für schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis hin zu Völkermord verantwortlich. Darauf machen wir mit der Kampagne #Endjanjaweed aufmerksam.

Mit der Kampagne #EndJanjaweed macht die Initiative #SudanUprising auf Verstrickungen der EU in Verbrechen im Sudan aufmerksam.

Die jüngere Geschichte des Sudan ist voller Revolutionen, die im Gedächtnis der Menschen auch aufbewahrt sind.

Eman Noreen*

Wie haben es Leute wie General al-Burhan oder der RSF-Befehlshaber Hemedti geschafft, sich an der Regierung zu halten? 

Die Revolution hatte mehrere Phasen: Erst dachten die Militärs, wenn sie Omar al Bashir absetzen, gäbe es Ruhe, aber dem war nicht so – die Proteste gingen weiter. Dann ereignetet sich am 3. Juni 2019 das Massaker in Karthoum: Die RSF schossen auf Protestierende und töteten über 100 unbewaffnete Demonstrant*innen. Die Militär-Übergangsregierung brach die Verhandlungen einfach ab. Ein Generalstreik zwang die Generäle schließlichwieder an den Verhandlungstisch. Aber es ist nicht einfach. Die Militärs erhalten beispielsweise aus Ägypten oder Saudi-Arabien Unterstützung. Dadurch verfügen sie über sehr viel Geld und können teure PR-Agenturen beauftragen und sehr effektiv Propaganda verbreiten.  

Siehst Du trotzdem Chancen für eine Demokratisierung?

Ich bin Optimistin aus Überzeugung. Die Leute gehen immer noch auf die Straße. Sie wissen, dass sie unbewaffnet bleiben müssen, um unabhängig zu bleiben, und sie werden diesen Kampf nicht aufgeben. Aber natürlich ist die Situation sehr schwierig. 30 Jahre Verfolgung und Unfreiheit haben in dieser Bewegung und bei ihren prominenten Figuren Spuren hinterlassen.

Aber die jüngere Geschichte des Sudan ist voller Revolutionen, die im Gedächtnis der Menschen geblieben sind. Wenn die Menschen demonstrieren, merkt man, dass diese Erfahrungen aus den 80er und auch aus den 60er Jahren noch präsent sind. Der Widerstand begann im Sudan auch nicht 2011, auch wenn das hier oft so erzählt wird.

Es wird oft betont, dass Frauen bei der sudanesischen Revolution eine besonders große Rolle spielen …

Frauen waren in den sudanesischen Protestbewegungen und den sozialen Bewegungen schon vor 2011 stark vertreten. 2012 und 2013 waren immer Frauen und Männer gemeinsam auf der Straße. Frauen waren immer dabei, wenn es darum ging, Proteste zu organisieren, zu mobilisieren, Geld aufzutreiben  und Frauen waren auch immer unter den Festgenommenen. Die aktive und sichtbare Beteiligung von Frauen am politischen Geschehen war im Sudan immer stärker ausgeprägt als in vielen anderen Ländern der Region. Und trotzdem gibt es eine verbreitete sexistische Denkweise, die dazu führt, dass Frauen an der Spitze der oppositionellen Bewegungen stark unterrepräsentiert sind oder etwa in den Medien nicht zu Wort kommen. Das ist absolut frustrierend, aber es gibt sehr viele Frauen, die dagegen aufbegehren und Gleichberechtigung einfordern.

Rechnest Du damit, dass die Proteste weitergehen? 

Die Leute sind noch lange nicht zufrieden. Insbesondere die Jüngeren werden die Proteste nicht aufgeben, auch weil es bislang keine Gerechtigkeit gibt für diejenigen, die bei Protesten von Sicherheitskräften getötet wurden. Außerdem ist die ökonomische Situation sehr schwierig, alles ist unfassbar teuer. Ich mache mir Sorgen, dass das Regime versucht, Proteste durch Überwachung und Verfolgung so gut wie unmöglich zu machen. Aber ich denke, die Leute werden weiter auf die Straße gehen, um Demokratie zu erkämpfen.

Eman Noreen heißt in Wirklichkeit anders. Der Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert, den wer sich im Exil politisch engagiert, riskiert bei einer Einreise in den Sudan festgenommen und gefoltert zu werden.