„Was in Ihrem Urteil fehlt: die unkontrollierte Verbreitung von Waffen“

In Münster wird geurteilt: Syrien sei sicher für Zivilist*innen – ohne die Realität vor Ort zu kennen. Wir lassen die Betroffenen selbst berichten.

Sehr geehrte Richterinnen und Richter,

mein Name ist Safa Kamil, und ich lebe mit meinen kleinen Kindern in der Stadt Afrin. Wegen Assad haben sie alle keinen Vater mehr. Mein erster Ehemann starb in einem Foltergefängnis des Regimes, mein zweiter Ehemann kam bei Bombardierungen ums Leben. Ich floh nach Afrin, um dem Tod zu entkommen. Doch auch hier kämpfen wir täglich ums Überleben.

Sehr geehrtes Gericht, Sie urteilen, dass es in meiner Region sicher für Zivilist*innen sei. Doch die Realität könnte nicht ferner davon sein. Wir leben in ständiger Angst vor den Angriffen des Assad-Regimes und anderer schwer bewaffneter Gruppen.

Was in Ihrem Urteil fehlt, sind Recherchen zur unkontrollierten Verbreitung von Waffen. Es gibt keine Auflagen, keine Regeln, keine funktionierende Rechtsordnung – nur Chaos. Vor ein paar Tagen wurden zwei Kinder getötet, weil sie zufällig zwischen die Fronten verfeindeter Gruppen gerieten. Solche Kämpfe finden oft in Wohngebieten statt und führen dazu, dass immer wieder Zivilist*innen sterben. Das sind Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit, zum Markt oder zu Verwandten aus dem Leben gerissen werden.

Und wir werden nicht sicher sein, wenn das Assad-Regime in diese Region zurückkehrt. Zurzeit ist Afrin noch Teil einer türkischen Besatzungszone, doch die Türkei plant den Rückzug. Wenn sie geht, ist das Leben all jener in Gefahr, die sich gegen die Schreckensherrschaft des Regimes gestellt haben. Wir fürchten willkürliche Verhaftungen – Verhaftungen, die für die Festgenommenen oft tödlich enden.

Mir fällt auf, dass die Statistiken, die Sie für Ihr Urteil herangezogen haben, oft ungenau sind. Wir können Ihnen helfen, an verlässliche Zahlen zu gelangen, die lokale Menschenrechtsaktivist*innen hier erheben.

Ich hoffe, dass Sie meine Stimme hören – eine Stimme voller Angst. Dennoch glaube ich fest an Ihre Menschlichkeit und an die gemeinsamen Ziele, die uns verbinden: die Freiheit und die Gerechtigkeit.

Mit besten Grüßen

Safa Kamil  

Nordsyrien

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