»Westliche Medien reproduzieren zu oft Assads Bild von Idlib«

Der Reporter Akram al-Ahmad über Journalismus in Syrien und die katastrophale Lage im umkämpften Idlib.

Akram al-Ahmad berichtet seit Beginn des Syrienkonflikts über die Entwicklungen in Hama und Idlib. Außerdem hat der Gründer des Journalistenbüros Syrian Press Center hunderte junge Bürgerjournalisten ausgebildet.

Akram hat Journalismus studiert und in den 2000er Jahren für die staatliche Zeitung Tishreen gearbeitet. Wegen der Zensur gab er die Sache mit der Presse auf und arbeitet bis zum Ausbruch der Revolution im Bildungsbereich. Mit dem Aufstand gegen Assad taten sich dann Freiräume auf, die er nutze, um wieder als Berichterstatter tätig zu werden.

Warum hast du 2006 den Journalismus aufgegeben?

Weil es in Syrien keine Pressefreiheit gibt. Die Sicherheitsdienste haben alle Inhalte der Zeitung kontrolliert. In allen Redaktionen gibt es eine Abteilung der Geheimdienste, die alle Artikel prüfen oder Themen gar vorgeben. Journalisten sind nur Puppen für sie. Ich bekam Probleme, als ich einen kritischen Artikel über einen Getreideproduzenten schrieb. Danach wechselte ich an eine Schule im Umland von Hama.

Wie erinnerst du den Beginn des Aufstands?

Als die Revolution begann, organisierten wir Demonstrationen. Ich fuhr aber auch improvisierte Ambulanzfahrzeuge und begann zu dieser Zeit in einem eigens gegründeten Medienbüro, Journalisten auszubilden. Wir hatten damals wie so viele die naive Vorstellung, dass das Regime nach höchstens vier, fünf Monaten gestürzt würde. Viele, mit denen ich damals arbeitete, sind heute tot oder verschwanden im Gefängnis. Diese spezielle Region, in der ich damals lebte, war sehr besonders, da sie die ganze Vielfalt Syriens abbildete. Sie war ein Mosaik aus Sunniten, Alawiten, Christen, Drusen. Es wurde schnell ersichtlich, dass das Regime auf die Konfessionalisierung des Konflikts hinarbeitete. Uns war klar, dass diese Entwicklung sehr gefährlich war, weshalb wir ein Komitee zur Erhaltung des zivilen Friedens gründeten. Viele Probleme konnten wir auf diesem Weg lösen, andere leider nicht.

Die Lage wurde dann rasch schlechter…

Das Regime verfolgte die Mitglieder dieses Komitees stark, einige wurden verhaftet, ein anderer, ein Alawit, wurde getötet, andere flohen. Im August 2011 marschierte das Militär in unsere kleine Stadt ein und funktionierte unsere Schule zum Stützpunkt um. Das Regime suchte mich zu diesem Zeitpunkt, also floh ich ins benachbarte Idlib. Später war ich an der Gründung einer demokratischen Partei beteiligt, wollte mich aber wieder mehr der Medienarbeit widmen. Aus dem Hama-Medienbüro wurde so das Syrian Press Center mit einem deutlich größeren Fokus. Zwischenzeitlich hatten wir neben der Website zwei Radiostationen und eine Zeitschrift. Insgesamt haben wir rund 500 Bürgerjournalisten ausgebildet. Wir mussten das alles weitgehend selbst finanzieren, es war immer sehr schwierig Fördergelder zu bekommen.

Du hast den Konfessionalismus erwähnt: Auch als Journalist und Ausbilder hast du versucht, diesem Problem zu begegnen, oder?

Ja, insbesondere als dann 2014 der Islamische Staat hervortrat, wurde klar, dass etwas getan werden muss. Journalismus musste so nah wie möglich an die gesellschaftliche Basis heranrücken und aufklären. In dieser Zeit gab es unglaublich viel Hate Speech im Netz, an der sich leider auch alternative Medien beteiligten. Wir trieben deshalb einen Verhaltenskodex für Journalisten voran. Einige der reichweitenstärksten Oppositionsmedien haben sich dem dann 2015 verpflichtet.

Die Revolution hatte viele Gründe – politische wie ökonomische – aber warum wurde Idlib zu solch einer Bastion der Aufstands?

Es gibt in Idlib einen ungewöhnlichen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Selbst in den Städte gibt es eine Nähe der Menschen zueinander, die man so in anderen Städten nicht kennt. Idlib ist in diesem Sinne sehr dörflich. Deswegen fiel es dem Regime dort umso schwerer, seine Strategie des Teile-und-Herrsche anzuwenden oder das alte System aus Überwachung und Denunziation. Das machte ihm die Kontrolle über Idlib besonders schwer. Und dann gibt es natürlich geographische Faktoren: Die Lage an der Grenze zur Türkei macht es dem Regime unmöglich, das Gebiet einfach zu belagern und auszuhungern, wie es das sonst immer tut.

Luftangriffe auf Idlib

Heute steht Idlib am Abgrund – die Provinz ist die letzte unter Kontrolle von bewaffneten Aufständischen, unter denen geben aber die Extremisten von Hai’at Tahrir al-Sham (HTS) den Ton an.

Ja, heute kontrolliert HTS etwa 70 Prozent Idlibs. Den Rest kontrollieren sehr verschiedene kleinere Fraktionen. Etwa Ende 2013 haben Extremisten begonnen, den Ton unter den Bewaffnete anzugeben. Die Rolle ziviler Akteure war da sehr schwach geworden, es gab aber noch Einheiten der Freien Syrischen Armee. Zu dieser Islamisierung der Opposition hat nicht zuletzt auch das Assad-Regime beigetragen. Insbesondere dort wo das Regime nun angreift, ist HTS aber nicht besonders stark. Es gibt dort etwa Regionen, in denen Stammesstrukturen sehr ausgeprägt sind. In diese einzudringen, ist HTS nie gelungen. Dort regierte man sich bislang selbst. Aber klar, es gibt eine Medienkampagne des Regimes und Russlands, die darauf abzielt, ganz Idlib einzig und allein als einen Hort der Dschihadisten darzustellen. Leider fallen auch manche westliche Medien immer wieder darauf herein, differenzieren nicht ausreichend und reproduzieren solche Darstellungen. Deswegen ist es so wichtig, über die zivile Bewegung in Idlib zu sprechen, die noch immer existiert: Über selbstorganisierte Krankenhäuser und Schulen, über freie Medien, Lokale Räte, die Frauenbewegung, die zwischen allen Seiten aufgerieben werden.

Mit welchen Einschränkungen sieht sich die Presse durch HTS konfrontiert?

Durch die Radikalen hat sich viel verändert. 2011, 2012 und durchaus noch 2013 war man in den oppositionellen Gebieten völlig frei in seiner Berichterstattung. Danach verschlechterte sich die Lage rapide. 2015 und 2016 hat ein kritischer Post auf Facebook gereicht, um von den Islamisten verhaftet zu werden. Mittlerweile hat sich die Lage wieder etwas entspannt, ist aber weiterhin extrem schwierig. Mehr möchte ich darüber nicht sagen, denn ich gedenke bald wieder zurück nach Idlib zu reisen. Man muss versuchen, dort zu bleiben und weiter zu berichten. Öffentlichkeit ist so wichtig und es gibt so wenige professionelle Journalisten dort.

Assad-Regime und Russland bombardieren seit Ende April Idlib. Mehr als 19 medizinische Einrichtungen wurden getroffen, mindestens 230.000 Menschen wurden vertrieben – wie geht es nun weiter?

Ich schätze, dass sie versuchen werden, Idlib in einen nördlichen und einen südlichen Teile zu spalten. Gelingt ihnen ein Durchbruch, könnten sie ihre klassische Strategie der Belagerung anwenden. Das Regime kann nicht einfach sofort ganz Idlib überrollen und auch nicht kontrollieren.

Vor wenigen Tagen traf sich HTS-Führer Jolani mit den Führern diverser anderer Rebellengruppen. Wie bewertest du das?

Es ist ganz eindeutig, dass HTS versucht, sich den moderateren Gruppen anzunähern. In diesem Kontext ist es auch zu verstehen, dass sie ihre eigene Politik gegenüber der Zivilbevölkerung hier und da abgeschwächt haben. Deshalb haben sie auch ihrem zivilen Arm, der Erlösungsregierung, zuletzt immer mehr Raum gelassen und sich selbst im Hintergrund gehalten. Ihren Ruf zu verbessern ist Teil ihrer Überlebensstrategie.

Interview: Jan-Niklas Kniewel