Foto: Jan-Niklas Kniewel

Den Frieden in Syrien können nur wir gewinnen

Warum das Ende des »Islamischen Staates« und die Rückeroberung vieler Gebiete durch das syrische Regime keinen Frieden für das Land bedeuten. Eine Wortmeldung aus dem deutschen Exil von Ameenah Sawwan.

Foto: Jan-Niklas Kniewel

 +++ Dieser Artikel stammt aus unserer neuen Zeitung +++

Ob auf Konferenzen, bei Veranstaltungen oder Presseterminen – seitdem ich aus Syrien vertrieben wurde und nach Deutschland floh, erzähle ich immer und immer wieder, wie alles anfing: nicht mit al-Qaida, dem IS oder der CIA, sondern mit friedlichen Protesten gegen eine brutale Diktatur.

Dass ich auch nach sechs Jahren Aufstand in Syrien immer noch aufgeklärte Menschen hierzulande davon überzeugen muss, dass die syrische Zivilbevölkerung ein Recht auf Schutz hat und auch in Syrien Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden müssen, macht mich müde. Schon lange fühlt es sich an, als redeten wir gegen eine Wand.

Seit einigen Monaten nun behaupten hier immer mehr Menschen, Assad habe den Krieg bereits gewonnen. Manche freuen sich gar darüber. Aber was bitte hieße es in diesem Krieg überhaupt, »siegreich« zu sein – selbst aus Assads Perspektive?

Hunderte zerstörte Orte, hunderttausende tote Körper zu regieren? Ist das ein Sieg? Ja, Assad hat sich, wie stets von ihm versprochen, an der Macht halten können. Mithilfe von Bombenterror, Hungerblockaden, Giftgas, Folter, Massenhinrichtungen und Vertreibung.

Als politisch denkender Mensch war es unmöglich in Syrien frei zu atmen

Aber selbst wenn man die Lage rein machtpolitisch beurteilt, kann Assad nicht gewinnen: Längst ist er eine Marionette Russlands, des Irans und der Hizbollah. Seine Alliierten haben nicht nur militärisch das Sagen, sondern auch die syrische Wirtschaft in der Hand. Mittlerweile entziehen sich selbst Assads eigene Sicherheitskräfte und Geheimdienste seiner Kontrolle. Schon vor der Revolte gegen das Assad-Regime war es unmöglich, als politisch denkender Mensch in diesem Land auch nur frei zu atmen. Inzwischen hat sich das Klima der Angst noch mal verstärkt: Die vom Regime kontrollierten Regionen illustrieren, was George Orwell einst in »1984« ersann. Dies gilt insbesondere für die Gebiete, die das Regime nun angeblich »befreit« hat.

Und doch wird mir in Deutschland wieder und wieder die Frage entgegengehalten, warum Assad denn trotzdem so viele UnterstützerInnen habe. Gern würde ich zurückfragen: »Warum hatte Hitler denn so viele Fans?« Ja, warum?

Weil es, wie die Geschichte seit Jahrtausenden schon lehrt, stets Menschen gibt, die noch die grausamsten Tyrannen feiern – sei es aus Verblendung, Sadismus, Angst oder schlicht Opportunismus. Aber macht das die Herrschaft dieses Tyrannen »legitim«? Heißt das, er darf alle anderen unterdrücken, einsperren, foltern, aushungern und bombardieren? Ich bin verwundert, wie ausgerechnet Deutsche vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte immer wieder Stabilität mit Frieden oder sogar Gerechtigkeit gleichsetzen. Haben sie denn selbst gar nichts aus ihrer Geschichte gelernt?

Wir hören das Weinen seiner Familie am Telefon

Während ich diesen Text schreibe, erhalte ich einen Anruf über Skype. Der Cousin meines Mannes ist von Assads Granaten getötet worden, die gestern auf Ost-Ghouta niedergingen. Wir hören das Weinen seiner Familie am Telefon, während wir hier, tausende Kilometer entfernt von ihnen, so nutzlos sind. Mit den Tränen kommen alte Erinnerungen hoch. Ich habe eine lange Liste von FreundInnen und Verwandten, die seit 2011 getötet wurden. Sie alle wollten nicht mehr als das, was ich hier auf den Straßen Deutschlands als selbstverständlich wahrnehme: ein Leben in Freiheit. Hierzulande wird laut über den »Sieg« Assads in Syrien nachgedacht – währenddessen sterben in Syrien noch immer Tausende.

Ein Beispiel: Nur wenige Kilometer von den UN-Büros in Damaskus entfernt werden im belagerten Ost-Ghouta rund 400.000 Menschen ausgehungert. Die UN lässt sich gefallen, dass das Assad-Regime Hilfslieferungen an Regionen außerhalb seiner Kontrolle einfach mit seinem Veto untersagt. Über 400 PatientInnen brauchen in Ost-Ghouta dringend medizinische Hilfe, die ihnen aufgrund der Belagerung versagt bleibt. Wenn ihnen das Regime weiterhin die Evakuierung aus dem Belagerungsring versagt, werden sie langsam vor den Augen ihrer Familien sterben. Hunger wird in Syrien seit Jahren als Kriegswaffe genutzt – doch nirgends waren je so viele betroffen wie in den Vororten von Damaskus.

Nichts ist vorbei: Trotz der »Deeskalationszonen« sterben noch immer ZivilistInnen in den Trümmern ihrer zerbombten Häuser. Noch immer sitzen zehntausende Menschen aus politischen Gründen in den Knästen des Regimes. Die Zahl der zu Tode Gefolterten und Exekutierten steigt und steigt. Wir SyrerInnen reiben uns verwundert die Augen, wie die internationale Gemeinschaft angesichts all dieser gut dokumentierten Verbrechen bloß glauben kann, der Krieg in Syrien ließe sich beenden, ohne die Zivilbevölkerung vor diesen massiven Kriegsverbrechen zu schützen! Wie sie annehmen kann, es ließe sich Frieden schaffen, ohne die Verfolgung der Kriegsverbrecher an erste Stelle zu stellen!

Unser Leben ist ein einziger Balanceakt geworden

Ich träume davon, eines Tages wieder in Damaskus zu sein und dort als Journalistin arbeiten zu können. Mit jedem Zentimeter, den Assad militärisch Gebiete in Syrien gewinnt, rückt dieser Traum in immer weitere Ferne – wie für so viele SyrerInnen. Wie den anderen will auch mir das Grauen, das den Menschen in unserer Heimat widerfährt, niemals aus dem Kopf. Unser Leben ist zu einem einzigen Balanceakt geworden. Ständig schwanken wir zwischen Momenten, in denen wir uns abzulenken versuchen, um nicht zu verzweifeln – und Momenten, in denen wir die Situation in Syrien ins Auge fassen, um zu sehen, was wir tun können.

Und so bleibt uns nur eines: nicht aufzugeben. Alles, was wir gegen diese Barbarei tun können, zählt – so wenig das auch sein mag. Ob wir die humanitäre Krise zu lindern versuchen oder uns dafür einsetzen, dass es Grundlagen für die Aufarbeitung der in Syrien begangenen Verbrechen gibt. Eines Tages werden wir stolz darauf sein können, dass wir nicht aufgegeben haben. Denn selbst wenn Assad den Krieg gewinnt: Den Frieden können nur wir gewinnen.

Ameenah Sawwan ist Journalistin und Aktivistin des Aufstands gegen das Assad-Regime. Syrien musste sie Ende 2013 verlassen, seit 2016 lebt sie in Berlin.

Read an English version of Ameenah’s article here

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