Rund 80 tote Zivilisten durch Luftangriffe der Internationalen Koalition hatte das Monitorprojekt Airwars während der Amtszeit Barack Obamas im Schnitt jeden Monat gezählt. Unter Donald Trump – der im Wahlkampf weniger “politische Korrektheit” im “Krieg gegen den Terror” gefordert hatte – sind diese Zahlen enorm gestiegen – sie liegen nunmehr bei 360 Toten im Monat. 2017 wurden im Irak und in Syrien bereits mindestens 2.200 Zivilisten durch die Luftangriffe der Koalition getötet, fast so viele wie in den gesamten zweieinhalb Jahren zuvor.
Das hat mehrere Gründe: Zum einen fokussiert sich der Krieg zunehmend auf dicht besiedelte urbane Zentren wie Mossul und Raqqa, in denen ISIS Bewohner vermehrt auch als menschliche Schutzschilde missbraucht. Zum anderen hat sich die Strategie der Anti-IS-Koalition verändert: Kommandanten, die am Boden präsent sind, können Luftschläge anfordern, ohne Rücksprache mit dem Zentralkommando halten zu müssen. War unter Obama noch der Nationale Sicherheitsrat stark in strategische wie taktische Fragen involviert, hat Trump den Militärs vor Ort weitaus mehr Kontrolle über den Einsatz der Luftwaffe zugestanden.
Dass Schutzmaßnahmen zur Vermeidung ziviler Toter aufgeweicht wurden, wird hingegen von Washington bestritten. Donald Trump hatte entsprechende Vorschläge für eine mögliche Lockerung der rules of engagement im Januar in einem Präsidentenerlass gefordert. Doch wie der Außenpolitikexperte Micah Zenko bereits vor rund einem Monat im Guardian zu Protokoll gab, kann auch die Verlagerung der Kommandogewalt auf rangniedere Militärs einen ähnlichen Effekt haben:
“Diejenigen, die näher am Kampfgeschehen sind, neigen eher zum Einsatz tödlicher Maßnahmen und es ist weniger wahrscheinlich, dass sie einem wertbasierten Ansatz folgen werden. Eine Änderung der rules of engagement muss nicht zwangsläufig mit einer Änderung der offiziellen Doktrin einhergehen. Es kann auch eine Veränderung des Tons oder des Befehlsklimas sein. [Verteidigungsminister] Mattis hat immer wieder von einer ‘Vernichtungskampagne’ gesprochen.”
Während in Mossul zu jedem erdenklichen Zeitpunkt hunderte Journalisten präsent waren, um über die Schlacht zu berichten, findet der Kampf um Raqqa gegenwärtig regelrecht im medialen Dunkel statt: Berichterstattung von vor Ort ist kompliziert, weil die syrisch-irakische Grenze auch für Pressevertreter nur schwer zu überwinden ist. Und selbst wenn ihnen dies gelingt, scheint es ein Problem zu sein, von dort in die Nähe der Front zu gelangen. Ist keine auch nur halbwegs unabhängige Berichterstattung von vor Ort möglich, steigt das Risiko, dass zivile Opfer billigend in Kauf genommen werden.
Zwar fliegen deutsche Kampfpiloten weiterhin Aufklärungsflüge über Syrien, doch das Auswärtige Amt mauerte im März etwa, dass man “keine eigenen Erkenntnisse” über die zunehmende Zahl ziviler Opfer habe. Werden beim Anti-IS-Einsatz Kriegsverbrechen verübt, muss sich die Bundesregierung die Frage gefallen lassen, was sie zu deren Verhinderung oder zumindest deren Aufklärung beigetragen hat.