Fliehen, bis es nicht mehr weiter geht – Geflüchtete in Idlib

Das Assad-Regime und seine Verbündeten haben im Süden Idlib die oppositionellen Milizen bei Khan Sheikhoun massiv zurückdrängen können und die südlichste Spitze der Region eingekesselt. Welche Konsequenzen hat das für Zivilist*innen in Idlib?

Seit April 2019 versuchen Russland und das syrische Regime Idlib einzunehmen. Die radikal-islamistische HTS ist dort die dominierendste Kraft vor Ort. Sie kontrolliert weite Teile des Gebiets. Lange Zeit konnte das Regime dort keinen Erfolg erzielen. Zunächst  zerstörte es vor allem Krankenhäuser, Schulen und Wohngebiete. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wurden nach UN-Angaben rund 600 Zivilist*innen getötet, darunter viele Kinder, andere Quellen gehen von fast 1000 Opfern aus. 

Mit der Eroberung der Stadt Khan Sheikhoun gelang dem syrischen Regime ein militärischer Coup. Der Ort ist strategisch sehr relevant, da er an der Autobahn M5 liegt, die die zwei größten syrischen Städte Aleppo und Damaskus miteinander verbindet und für das Regime eine wichtige Verbindung ist.

Von Khan Sheikhoun ist allerdings nicht mehr viel übrig geblieben. Die einst lebendige Stadt im Süden Idlibs ist mittlerweile eine Geisterstadt, mehrere Quellen berichten, sämtliche Zivilist*innen seien geflohen. Insgesamt sollen in den vergangenen Tagen 60.000 – 70.000 Menschen die Region Richtung Norden verlassen haben.

Die Menschen schlafen unter Bäumen

Zahlen von “Humanitarian Response Syria” sprechen insgesamt von knapp 850.000 Syrer*innen, die der militärische Vormarsch des Regimes auf Idlib vertrieben hat. Die meisten sind vor allem in den Norden der Region geflüchtet. Weil die Türkei die Grenze gegen Geflüchtete militärisch abgeriegelt hat, ist die Flucht der allermeisten dort zu Ende.  Viele sind gezwungen, unter Olivenhainen, auf freien Feldern oder in Fahrzeugen zu schlafen. Die humanitäre Lage ist dramatisch.

Viele Geflüchtetencamps und Hilfsorganisationen haben ihre Kapazitäten längst schon überschritten und können keine weiteren Menschen aufnehmen. Die UN warnte davor, dass jedes weitere Vorgehen gegen Idlib zur größten humanitären Katastrophe des Jahrhunderts führen könnte. Fast eine halbe Million Menschen in Idlib haben ihre Häuser bereits verlassen. 

Geflüchtete schlafen unter Bäumen

Aufnahme im Norden Aleppos

Die Kommunen, die noch unter oppositioneller Kontrolle sind, koordinieren untereinander, wie viele Geflüchtete sie jeweils aufnehmen können. Der Gemeinderat von Khan al-Asal in der Region Aleppo, erklärte sich etwa bereit, 200 Familien aufzunehmen. Menschen mit Einkommen fliehen in Orte, wo ihnen Räume zur Miete angeboten werden. Oftmals müssen sie sich Wohnungen mit anderen Familien teilen.

Dörfer und Städte im Norden Aleppos haben angesichts der massiven Vertreibungswelle in Gebieten nahe der Fronten ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Familien von Geflüchteten aus den Provinzen Idlib und Hama angekündigt. Einwohner*innen des ländlichen Aleppo riefen die Familien der Vertriebenen dazu auf, in ihre Städte zu kommen, anstatt in die Städte nahe der türkisch-syrischen Grenze zu fliehen, da die Mietpreise dort erheblich gestiegen sind.

Improvisierte Zelte in einem Olivenhain im Norden Idlibs.

Was, wenn die Offensive weitergeht?

Die lokalen Gemeinden haben eine Kampagne gestartet, um die flüchtenden Menschen willkommen zu heißen. Einer unserer Partner in Atareb sagte uns, dass Tausende gerade in den Norden Aleppos flüchten. Einige von ihnen kommen auch nach Atareb. Allerdings ist sehr wahrscheinlich, dass die Regionen im Norden ebenfalls bald vom Regime und der russischen Armee angegriffen werden wird. Wohin die Menschen dann noch hinfliehen können, weiß niemand.