Im Nordwesten Syriens haben Krebspatient*innen keine Chance auf eine Behandlung. Es fehlt an Chemo- und Strahlentherapie, generell sind viele Medikamente hier nicht zu bekommen oder sie sind unerschwinglich. Vor den Erdbeben Anfang Februar konnten sich die Betroffenen noch in türkischen Krankenhäusern behandeln lassen. Dann entzog die türkische Regierung die entsprechenden Einreisegenehmigungen. Patient*innen hatten von jetzt auf gleich keinen Zugang mehr zu den lebenswichtigen Behandlungen.
Lebensverlängernd, aber nicht lebensrettend
Unsere Partner*innen vom Women Support & Empowerment Center Idlib reagierten schnell und finanzierten für viele Betroffene jene Arzneimittel, die in der Region Idlib zwar zu bekommen, aber sehr kostspielig und damit für die meisten unerreichbar sind.
Diese Unterstützung hat vielen das Leben verlängert, eine Chemo- oder Strahlentherapie ersetzt sie aber nicht. Auch weil viele der benötigten Medikamente nicht in den Norden Syriens geliefert werden können – es gibt keine Anlaufstelle dafür –, ist diese Sofortmaßnahme nur eine zeitliche Überbrückung, aber kein vollwertiger Therapieersatz. Was in Nordwestsyrien fehlt, ist ein spezialisiertes Zentrum, in dem Erkrankte die Behandlung erhalten können, die sie brauchen. Das Assad-Regime hat in den vergangenen Jahren mit seinem Verbündeten Russland gezielt und sukzessive eine medizinische Einrichtung nach der anderen in Grund und Boden gebombt. Geblieben ist lediglich ein Diagnosezentrum.
Willkürliche Entscheidung über Leben und Tod
Eine Behandlung in der Türkei ist im Kampf gegen den Krebs deshalb unbedingt erforderlich. Seit die Grenze geschlossen wurde, hat sich der gesundheitliche Zustand vieler Patient*innen deutlich verschlechtert. Besonders bei jenen, deren Chemo- oder Strahlentherapie dadurch abgebrochen wurde. Einige Personen sind ihrer Krebserkrankung mittlerweile erlegen, obwohl deren Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Erdbeben stabil war und sie gute Prognosen erhalten hatten. Und auch bei den Neuerkrankten ist der Krankheitsverlauf zum Teil rasend schnell, obwohl hier die besten Heilungschancen bestünden, würden sie eine Behandlung bekommen.
Weil türkische Medien auf die Krebspatient*innen aufmerksam wurden und über ihr Schicksal berichteten, beugte sich die türkische Regierung nach Monaten dem öffentlichen Druck und ließ im Juni wieder vereinzelte Fälle durch. Intransparent sind bis heute die Auswahlkriterien und der Ablauf. Fest steht: Weitere 600, darunter 100 Kinder warten auf die Einreise in die Türkei. Weil die Zeit für die Betroffenen drängt, begannen Dutzende Krebspatient*innen im Juli direkt am Grenzübergang Bab al-Hawa zu demonstrieren. Sie forderten die Einreiserlaubnis für ihre medizinische Behandlung. Mit Erfolg: Erst sollen die schweren Fälle, dann die mittleren und dann die leichten zur Behandlung in der Türkei aufgenommen werden.
Bau einer medizinischen Facheinrichtung ist verboten
Die Erleichterung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Lösung nur eine halbgare ist. Die Patient*innen sind von dem wankelmütigen Wohlwollen der türkischen Regierung abhängig. Unsere Partnerin Huda vom Women Support & Empowerment Center Idlib sieht nur einen Ausweg: Es braucht ein spezialisiertes medizinisches Zentrum direkt vor Ort. Das Problem: Die Einrichtung eines solchen Zentrums inklusive Onkologie und Radiologie ist in einem Kriegsgebiet nicht zulässig.
„Es muss Druck auf die Regierungen und Geberländer ausgeübt werden, damit sie bei der Einrichtung eines solchen Zentrums helfen. Es könnte in einer sicheren Zone oder innerhalb des Kreuzungspunktes gebaut werden, damit die Menschen nicht auf ihre lebenswichtigen Behandlungen warten müssen. Selbst wenn die Grenze offen ist: Die Reise in die Türkei ist für Erkrankte anstrengend und kostet Zeit. Wir brauchen hier vor Ort eine Lösung!“
Huda Khaity, Leiterin des Women Support & Empowerment Center Idlib