Der „säkulare Konfessionalismus“ des Regimes – Presseschau vom 28.12.2014

Das syrische Regime sei „zu Gesprächen in Moskau bereit“, wie die ARD am 27.12.2014 in einer kurzen Meldung berichtet. Zitiert wird ein Mitarbeiter des syrischen Außenministeriums, der gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Syriens, SANA, die Bereitschaft des Regimes zu einem „vorbereitenden und konsultativen Treffen“ in Moskau erklärte. Die Regierung wolle so den „Hoffnungen“ der Syrer entsprechen, […]

Das syrische Regime sei „zu Gesprächen in Moskau bereit“, wie die ARD am 27.12.2014 in einer kurzen Meldung berichtet. Zitiert wird ein Mitarbeiter des syrischen Außenministeriums, der gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Syriens, SANA, die Bereitschaft des Regimes zu einem „vorbereitenden und konsultativen Treffen“ in Moskau erklärte. Die Regierung wolle so den „Hoffnungen“ der Syrer entsprechen, die sich ein Ende des Bürgerkrieges wünschten, zitiert die ARD ferner. Das erneute Ausloten von Verhandlungen zwischen syrischem Regime und syrischer Opposition sei in Absprache Russlands mit Syrien gefallen. Am 20. Januar 2015 werde Moskau eine Delegation der syrischen Opposition empfangen, hieß es bereits vorher aus dem russischen Außenministerium. Bei erfolgreichem Verlauf dieser Sondierungsgespräche sollen dann auch Vertreter des syrischen Regimes nach Moskau eingeladen werden. Ziel sei laut syrischem Regime eine „Dialogkonferenz zwischen Syrern ohne ausländische Einmischung“.

Der letzte Versuch von Gesprächen zwischen Regime und Opposition war Anfang 2014 in Genf gescheitert – Genf II -, seitdem kam es nicht mehr zu Verhandlungen der beiden Konfliktparteien auf internationalem Parkett. Genf II scheiterte jedoch v.a. am Unwillen des Regimes, mit der Opposition über eine politische Transformation zu verhandeln. Stattdessen wollte das Regime nur über Fragen des „Terrorismus“ im Land verhandeln. Zudem übte sich das Regime erneut in Unterdrückung der Opposition: So wurden Familienmitglieder der oppositionellen „Verhandlungspartner“ in Syrien inhaftiert und die Mitglieder der oppositionellen Delegation auf die Terrorliste gesetzt. Noch während Genf II wurde bekannt, dass der Sohn des Oppositionellen Fayez Sara vom Regime in Syrien getötet wurde (Daily Star, Libanon). Der 27-jährige Wissam Sara, Christ und Vater zweier Kinder, wurde vom syrischen Militärgeheimdienst in Damaskus zu Tode gefoltert. In dieser Hinsicht ist es wenig erstaunlich, dass die syrische Opposition Zweifel an der neuen Initiative zu Gesprächen anmeldet.

Weiterhin verweisen wir noch auf ein interessantes und ausführliches Interview des Deutschlandfunk: Der Journalist Kurt Pelda spricht über Kriegsberichterstattung aus bzw. in Syrien sowie die Fehler von Politik und Medien im Fall Syrien. Die Lektüre lohnt sich!

Der „Islamische Staat“ dürfte mittlerweile – dank seiner ausführlichen medialen Inszenierung und dem unerschöpflich wirkenden Reservoir an Grausamkeiten – der ganzen Welt ein Begriff sein. Die Umbenennung von „Islamischer Staat in Irak und Syrien“ (ISIS) zum „Islamischen Staat“ (IS), zudem die Ausrufung des Kalifats: All diese Schritte untermauern den Herrschafts- und Expansionsanspruch des IS. Artikel des SPIEGEL (SPON) & der Washington Post weisen nun jedoch darauf hin, dass IS bei der Machterhaltung und Verwaltung der eroberten Gebiete ernsthafte Schwierigkeiten habe. Die Washington Post geht sogar soweit, dass sie urteilt: „Der Islamische Staat versagt dabei, ein Staat zu sein“. Nichtsdestotrotz wird uns der IS leider auch im Jahr 2015 als wichtiges Thema erhalten bleiben… solange der Konflikt in Syrien anhält, wird sich der IS nicht in Luft auflösen, schon allein deshalb, da sich Assad und IS als zwei Seiten brutaler Unterdrückung ergänzen.

Zur Frage, wie die Politik des syrischen Regimes zu bewerten sei – ob konfessionalistisch begründet oder doch „nur“ repressiv -, rechnet bei Pulse der Islamwissenschaftler Thomas Pierret mit der Haltung des Ex-Journalisten und Politikberaters Nir Rosen ab: Indem Rosen das Regime als „absolut säkular“ bezeichne und die Vorzüge des Regimes preise, wasche er das Regime von Bashar al-Assad rein. Pierret wirft Rosen u.a. vor, in nahezu stalinesker Verklärung die Errungenschaften des syrischen Regimes in den Bereichen Bildung und soziale Dienste zu benutzen, um die Brutalität des Regimes zu übertünchen. Wie auch immer man diese „Errungenschaften“ beurteilen mag – was nützt ein Regime, das bereitwillig all jene „Errungenschaften“ über den Haufen schießt und vernichtet – nur um an der Macht zu bleiben?

Am meisten Anstoß nimmt Pierret jedoch an der Definition Rosens, dass das syrische Regime seit 2011 keinesfalls konfessionell gehandelt habe, sondern nur aus Angst gegenüber dem „konfessionellen Extremismus der Sunniten“. Pierret stehen bei dieser These die Haare zu Berge: Einerseits ob der Verdrehung des Wortes „Konfessionalismus“ und andererseits, da das syrische Regime seit März 2011 sofort die Mechanismen von konfessionellem Hass eingesetzt und losgetreten habe. Pierret verweist auf den unmittelbaren Einsatz von alawitischen Freischärlern und Milizen, um sunnitische Nachbargemeinden zu terrorisieren bzw. friedliche Demonstrationen aufzulösen. Warum sollte ein „säkulares“ Regime, das Angst vor dem „Extremismus“ der Sunniten hat, ausgerechnet die eigene Konfession in die Schusslinie bringen? Rosens Annäherung des Konflikts und die Beschreibung der Akteure – „säkulares Regime“ vs. „extremistische Oppositionelle/Rebellen“ – stößt bei Pierret auf völliges Entsetzen:

Later that month, other Alawite militiamen were sent into the coastal village of al-Bayda, and filmed themselves tramping over the bodies of Sunni prisoners. An admirably non-sectarian move, once again! I had thought that faced with the same situation, a genuinely secular government would have sent uniformed security forces from other provinces rather than civilian auxiliaries from the rival local sect, but thanks to his three-year fieldwork expertise, Rosen redefined the whole concept of non-sectarianism: it means acting in a deeply sectarian manner while remaining staunchly secular in one’s heart.

Interessanterweise greift ein Artikel bei Syria Untold von November 2014 genau diesen Mechanismus des „säkularen Konfessionalismus“ auf Seiten des Regimes auf. Mohammad Dibo verweist im Artikel auf die Existenz von Konfessionalismus in Syrien, der schon auf die frühe Zeit der Unabhängigkeit Syriens (1920-1946) zurückgehe – damals wurde Syrien von Frankreich als Mandatsgebiet verwaltet. (Die „Wurzeln“ des Konfessionalismus reichten zurück in die Zeit des Osmanischen Reiches, wird in Syrien bzw. von Wissenschaftlern oft argumentiert.) Laut Dibo sei Konfessionalismus in Syrien immer latent präsent gewesen, nach der Unabhängigkeit von 1946 sei das Thema jedoch totgeschwiegen worden, in der Annahme, dass es sich irgendwann von selbst erübrigt.

Mit Machtantritt Hafez al-Assads und besonders seit den 1980-er Jahren (in dieser Zeit sah sich Assad einem durchaus sunnitisch-geprägten Aufstand entgegen) habe das Regime auf den Mechanismus des „säkularen Konfessionalismus“ gesetzt: Konfessionalismus galt offiziell als Tabuthema, während das Regime die konfessionellen Gruppen Syriens ganz gezielt für sich einsetzte bzw. gegeneinander ausspielte. (Neue) Wohngebiete hätten oft einen quasi-konfessionellen Charakter innegehabt – dort lebten „Christen“ und „Drusen“, dort „Sunniten“. Zwar sei das nicht absolut gewesen, doch hatte diese „konfessionelle“ Form der Herrschaftsführung System. Auch in Hinblick auf Oppositionelle seien konfessionelle Beleidigungen und Verleumdungen vom Staat mit System eingesetzt worden.

Dibo sieht den Nutzen von konfessionell-begründetem Handeln auf Seiten des Regimes in drei Punkten:

  1. Das Regime als den einzigen Beschützer vor konfessionellem Hass in Syrien zu etablieren
  2. Um die Beziehungen mit den [religiösen] Minderheiten in Syrien zu festigen
  3. Um Dissidenten und Oppositionsgruppen zu diffamieren, sie als Gefahr für die Allgemeinheit darzustellen

Wichtig bleibt Dibo zu betonen, dass das syrische Regime keinesfalls einen konfessionellen Charakter habe, wie es z.B. in Iran oder Saudi-Arabien der Fall sei. Jedoch seien konfessionelle Manipulationen für das Regime eindeutig ein Instrument gewesen, die Gesellschaft zu beherrschen – mit jedoch weitreichenden Konsequenzen:

The actions and policies of any state, however, will transform society politically, economically and socially. In Syria, it led to the birth of what I call “hidden sectarianism”, where sectarian identities are neither discarded for a higher national identity, nor are they allowed to present themselves and be discussed openly.

Die Politik des Regimes habe somit einen „verborgenen Konfessionalismus“ in Syrien erschaffen, der sich nach Beginn der syrischen Revolution entgültig Bahn gebrochen habe: Während das Regime klar auf die konfessionelle Karte setzte, entschied sich die Opposition (bzw. Teile von ihr), ebenfalls mit Konfessionalismus zu antworten. Dies sieht Dibo als letztendlich fatalen Zug auf Seiten der Opposition.

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