Nur wenige Syrer*innen in Deutschland haben einen prekären Aufenthaltsstatus.

Wie sicher sind syrische Geflüchtete vor Abschiebung?

Alle sechs Monate entscheidet die Innenministerkonferenz über die Verlängerung des Abschiebungsstopps nach Syrien. Sollte dieser fallen, wären Abschiebungen nach Syrien theoretisch wieder möglich. Daher lohnt sich ein Blick in die Statistik: Welche und wie viele Syrer*innen wären davon bedroht?

Nur wenige Syrer*innen in Deutschland haben einen prekären Aufenthaltsstatus.

Seit 2018 würden einige der Landesinnenminister den Abschiebungsstopp nach Syrien gerne beenden. Bereits im Dezember 2020 droht, dass der Plan in die Tat umgesetzt wird. Dann könnten Syrer*innen ohne Aufenthaltstitel theoretisch abgeschoben werden. Dies ist – wie wir hier zeigen – aktuell eine relativ kleine Gruppe. Daher besteht für die meisten Syrer*innen in Deutschland kein Grund zur Panik! 

Trotzdem wäre es ein bedrohliches Zeichen, wenn der Abschiebungsstopp endet. Denn Syrien ist nicht sicher! Auch bei einer geringen Anzahl an nach Syrien abgeschobenen Menschen, wäre das eine Menschenrechtsverletzung. Und ein klares Zeichen, dass die deutschen Behörden die Situation in Syrien ignorieren.

Wenn die Bundesregierung erst einmal mit dem Assad-Regime kooperiert, um Abschiebungen einiger weniger Syrer*innen zu organisieren, droht mittel- oder längerfristig, dass mehr und mehr Menschen abgeschoben werden. Das lehrt die Erfahrung etwa mit Abschiebungen nach Afghanistan und in andere Länder. 

Daher ist es wichtig, jetzt dafür zu kämpfen, dass der Abschiebungsstopp nach Syrien fortbesteht, solange in Syrien ein Regime an der Macht ist, das systematisch und massenhaft foltert, Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt und viele schwerste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortet. 

Die wichtigsten Zahlen

Die Fraktion »Die Linke« fragt bei der Bundesregierung durch parlamentarische Anfragen („Kleine Anfragen“) regelmäßig sogenannte „Ist-Zahlen“ ab, also Zahlen, wie viele Geflüchtete zu einem bestimmten Stichtag in Deutschland leben, welche Schutz- und Aufenthaltstitel sie haben und aus welchen Ländern sie stammen. Die Zahlen beruhen auf dem Ausländerzentralregister (AZR). Aus vielen Gründen sind diese Statistiken aber nur ein sehr grobes Abbild der Realität, die Zahlen sind daher mit viel Vorsicht zu genießen.

Nur wenige Syrer*innen in Deutschland haben einen prekären Aufenthaltsstatus.
Quelle unserer Zahlen:
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion die LINKE BT-DRS 19/22457

Wer ist von Abschiebung bedroht?

Wie die Grafik oben zeigt ist der größte Teil der Syrer*innen in Deutschland durch einen Aufenthaltstitel vor einer Abschiebung geschützt. Das gilt auch dann, wenn der Abschiebungsstopp beendet würde: Wer einen gültigen Aufenthaltstitel hat, kann nicht einfach abgeschoben werden.  

„Ausreisepflichtige“: Würde der Abschiebungsstopp nicht mehr verlängert werden, wären Personen, die „ausreisepflichtig“ sind, akut von einer Abschiebung bedroht. Die Statistik erfasst aktuell 453 ausreisepflichtige abgelehnte Asylsuchende aus Syrien. Warum diese Personen im Asylverfahren keinen Schutzstatus erhalten haben, können wir nur spekulieren. Es handelt sich um seltene Ausnahmefälle. Manche von ihnen sind vielleicht längst nicht mehr in Deutschland. Die Zahl der „Ausreisepflichtigen“ im AZR ist nur sehr begrenzt belastbar, unter anderem, weil darin oft Menschen erfasst sein dürften, die längst ausgereist sind.

„Duldung“: Wenn der Abschiebungsstopp nicht weiter verlängert würde, wäre zudem ein Teil der Menschen von einer Abschiebung bedroht, die in Deutschland nur geduldet sind. Das betrifft vor allem jene, die nur aufgrund des geltenden Abschiebungsstopps eine Duldung erhalten haben. Das sind lauf AZR 172 Personen (Duldung aufgrund eines Abschiebungsstopps nach § 60a Absatz 1 AufenthG). 

Generell sind Menschen, die nur eine Duldung erhalten haben, relativ schlecht vor einer Abschiebung geschützt, denn eine Duldung bedeutet nur, dass die Abschiebung erst einmal nicht stattfindet. Eine Duldung ist ausdrücklich „kein Aufenthaltstitel“. 

Aber: Duldungen können aber aus vielen unterschiedlichen Gründen erteilt werden. Wie „sicher“ eine Duldung ist, hängt immer auch vom jeweiligen „Duldungsgrund“ ab. Ein großer Teil der geduldeten Syrer*innen dürfte in Deutschland nur geduldet sein, weil die Betroffenen bereits in einem anderen EU-Staat einen Schutzstatus erhalten haben, der sie vor einer Abschiebung nach Syrien schützt. Sie sind also in Deutschland nur geduldet, weil sie sich eigentlich in einen anderen EU-Staat aufhalten müssten, aber dennoch nicht von einer Abschiebung nach Syrien bedroht.

Menschen mit einer Duldung, die sich unsicher sind, ob sie vor einer Abschiebung nach Syrien sicher wären, sollten sich in jedem Fall von einer unabhängigen Beratungsstelle oder einem Anwalt oder einer Anwältin beraten lassen. Sie brauchen eine Strategie, wie sie zumindest langfristig einen sicheren Aufenthaltstitel erhalten können. 

Subsidiär Geschützte: Syrischen Geflüchteten mit subsidiärem Schutz wurde vom BAMF oder einem Gericht bestätigt, dass ihnen in Syrien willkürlich Gefahr droht aufgrund der schlechten Sicherheitslage, zum Beispiel aufgrund von Krieg, aber auch etwa aufgrund der Tatsache, dass die syrischen Behörden oder andere Akteure schwere Menschenrechtsverletzungen begehen wie zum Beispiel Folter. Schließlich kann man in Syrien Opfer solcher Verbrechen werden, ohne dass man gezielt verfolgt wird. 

Mehr zum Thema Widerruf

Menschen mit subsidiärem Schutz sind zunächst sicher. Auch wenn der Abschiebungsstopp enden würde, könnten sie nicht einfach abgeschoben werden. Aber sie könnten ihren Schutztitel durch einen „Widerruf“ verlieren – und dann wären sie theoretisch von einer Abschiebung bedroht.

Wenn sich in Deutschland die Meinung durchsetzt, dass es in Syrien wieder „sicher“ sei oder es „sichere Gebiete“ gebe, dann droht, dass Menschen mit subsidiärem Schutz diesen Schutztitel im Widerrufsverfahren verlieren. Dann könnten sie theoretisch abgeschoben werden.

Einige Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen drängen die Bundesregierung bereits jetzt über Abschiebungen von subsidiär geschützten Syrer*innen nachzudenken – auch wenn das aktuell unrealistisch ist.

Daher ist es wichtig jetzt in Deutschland mit Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, dass Syrien nicht sicher ist und es daher einen unbefristeten Abschiebungsstopp braucht!

Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge: Wer vom BAMF oder einem Gericht als asylberechtigt nach Art. 16a GG oder als „Flüchtling“ im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurde, hat vorerst einen sicheren Status: Diesen Personen haben die deutschen Behörden oder ein Gericht bestätigt, dass ihnen in Syrien Verfolgung droht. Solange sie diesen Schutztitel haben, können sie nicht abgeschoben werden, auch wenn der Abschiebungsstopp fallen sollte.

Zu beachten ist aber, dass auch dieser Schutztitel widerrufen oder zurückgenommen werden kann, sollten die Behörden überzeugt sein, dass sich die Lage in Syrien nachhaltig und grundlegend geändert hat, sodass den Betroffenen keine Verfolgung mehr droht. 

Abschiebungsverbote:  5.083 Personen haben vom BAMF oder einem Gericht ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 erhalten (und auf dieser Grundlage eine Aufenthaltserlaubnis nach nach § 25 Abs. 3 AufenthG.) Ein Abschiebungsverbot ist ein schwächerer Schutzstatus als der subsidiäre Schutz und bringt mehrere rechtliche Nachteile mit sich.

Dass das BAMF phasenweise vermehrt Abschiebungsverbote erteilt hat, anstatt des zuvor üblichen subsidiären Schutzes, deutet darauf hin, dass es kaum Skrupel hat, die Lage in Syrien zu banalisieren. Dennoch sind auch Personen mit einem Abschiebungsverbot vor einer Abschiebung geschützt, sollte der Abschiebungsstopp für Syrien nicht mehr verlängert werden. Solange kein Widerruf oder eine Rücknahme erfolgen, sind Personen mit Abschiebungsverbot geschützt.

Aufnahme aus dem Ausland: Rund 25.000 Syrer*innen konnten aufgrund unterschiedlicher Aufnahmeprogramme oder individueller Aufnahmeaktionen legal nach Deutschland kommen ohne Asyl beantragen zu müssen. Auch sie wären vor Abschiebung geschützt, sollte der Abschiebungsstopp fallenKonkret geht es um 17.467 Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG erhalten haben, um 5.031 Syrer*innen mit einer Aufenthaltserlaubnis Aufenth § nach 23 Abs. 1, um 419  Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG und um 2.606 Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 4 AufenthG.

Aufenthaltsgestattung und Ankunftsnachweis: Eine Aufenthaltsgestattung erhalten in der Regel Schutzsuchende, während ihr Asylantrag geprüft wird. Einen Ankunftsnachweis erhalten Menschen während sie darauf warten, ihren Asylantrag stellen zu können. Menschen mit einer Aufenthaltsgestattung oder einem Ankunftsnachweis haben nur sehr eingeschränkte Rechte in Deutschland, aber einen Abschiebung in ihr Herkunftsland droht ihnen nur, falls ihr Asylantrag abgelehnt werden sollte. Zum Stichtag 30. Juni lebten in Deutschland 19.197 Syrer*innen mit Aufenthaltsgestattung und 264 mit Ankunftsnachweis.

Niederlassungserlaubnis: Wer eine Niederlassungserlaubnis erhalten hat, konnte seinen Status in Deutschland bereits erfolgreich verfestigen. Theoretisch kann ein Widerruf eines Schutztitels zwar auch Menschen mit einer Niederlassungserlaubnis betreffen, in der Regel haben sie jedoch gute Chancen, ihren Aufenthalt andersweitig rechtlich abzusichern, sodass auch im Falle eines Widerrufs ihres ursprünglichen Flüchtlingsstatus keine Abschiebung mehr droht.