“Die Situation erinnert mich an die Belagerung von Ost-Ghouta”
Safa, Leiterin der Fraueninitiative KLYA, unterstützt in Afrin nahe der türkischen Grenze viele vertriebene Frauen. Seit 2018 steht Afrin faktisch unter türkischer Besatzung, unter der sich kaum zivile Strukturen etablieren konnten.
“Die Lage hier in Nordsyrien ist extrem angespannt. Selbst Kinder denken darüber nach, wohin sie fliehen könnten, wenn Assad wiederkommt. Die Situation erinnert mich an die Belagerung von Ost-Ghouta. Viele gaben sich damals dem Regime aus Angst freiwillig hin.
Aktivist*innen organisieren Proteste, um Widerstand zu zeigen. Doch die Sicherheitslage ist sehr instabil. Wir befürchten, dass sich Akteure von außen einmischen werden. Der wirtschaftliche Druck verschärft die Situation. Die Preise steigen, Menschen horten Brot aus Angst.
Die Furcht vor Verhaftungen und Verschwindenlassen seitens des Regimes oder der Türkei ist groß.
Wir sehen unsere Aufgabe darin, den Menschen Mut zu machen und sie psychologisch zu unterstützen. Dafür organisieren wir regelmäßige Treffen, um uns gegenseitig zu stärken. Trotz unserer begrenzten Mittel möchten wir möchten den Menschen zeigen, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen können und eine politische Stimme haben. Denn wie damals in Ost-Ghouta besteht die akute Gefahr, dass Panik ausbricht und die Solidarität in der Bevölkerung bröckelt.
Eine Normalisierung mit Assad lehnen wir ab. Wir führen Kampagnen durch, um auf willkürliche Inhaftierungen und das Verschwindenlassen in Syrien aufmerksam zu machen. In den nächsten sechs Monaten fokussieren wir uns auf psychologische Unterstützung, Schulungen und eine große Aufklärungskampagne, um das politische Bewusstsein zu stärken und unsere Reihen zu organisieren.
Besonders Frauen sollten wissen, dass ihre Teilhabe wichtig ist. Wir arbeiten daran, dass mehr Menschen an unseren Kampagnen teilnehmen. Unsere psychologische Unterstützung ist entscheidend. Wir halten mehr Sitzungen ab, auch online, da viele Frauen Angst haben zu reisen.”
“Niemand hilft den Zwangsrückkehrenden aus der Türkei”
Souad ist Teil der Change Makers, die in Idlib vertriebene Frauen in informellen Lagern versorgen. Die Aktivistinnen mussten bereits 2019 wegen einer Offensive des Assad-Regimes ihren Heimatort Kafranbel verlassen.
“Die Zukunft sieht düster aus. Unsere Organisation bietet Trainings- und Unterstützungsmaßnahmen an, aber auch wir sind mental genauso erschöpft wie die gesamte Gesellschaft. Uns bereitet es große Sorgen, dass das Assad-Regime und die Türkei ihre Beziehungen normalisieren. Auch die Vereinten Nationen eröffnen wie selbstverständlich Büros in Regimegebieten, als sei nichts gewesen. Währenddessen ziehen lokale Hilfsorganisationen aus Idlib nach Azaz und Afrin, weil das Assad-Regime hier immer näher rückt.
Gleichzeitig erfahren syrische Geflüchtete in der Türkei Rassismus und werden abgeschoben. Kommen sie nach Nordsyrien zurück, nimmt sie niemand auf. Wir brauchen Programme wie bei der Umsiedlung 2018, als Menschen aus Ost-Ghouta nach Afrin und Azaz gebracht wurden. Organisationen haben für sie damals die Grundversorgung sichergestellt und Unterkünfte organisiert. Das ist heute leider anders. Niemand kümmert sich, niemand hilft ihnen, niemand baut ihnen angemessene Zelte oder Unterkünfte. Das liegt auch daran, dass das Problem einfach zu groß geworden ist. Viele dieser Menschen schlafen deshalb auf den Straßen, weil sie kein Obdach haben.
Wir von Change Makers unterstützen syrische Familien, die aus der Türkei abgeschoben werden. Ihre Kinder, die meist Türkisch sprechen und dort zur Schule gegangen sind, stehen bei ihrer Rückkehr nach Syrien vor großen Problemen: Wie sollen sie sich an diese katastrophale Situation anpassen? Wir arbeiten daran, die mentale Gesundheit der Kinder zu schützen. Dennoch können wir ohne ausreichende Ressourcen das Leid nicht komplett verhindern.
Es ist schrecklich, die Schutzsuchenden in Bussen nach Syrien zurückkehren zu sehen. Sie werden gefilmt, fotografiert und ihr letztes Hab und Gut geraubt, bevor sie über die Grenze verfrachtet werden. Es ist nicht nur entwürdigend, sie stehen dann auch hier mit nichts in der Hand. Es müssen dringend großflächige Maßnahmen ergriffen werden, um diesen Menschen zu helfen.”
Mit Ihrer Spende können Sie unseren Partnerinnen eine echte Hilfe sein, um schutzbedürftige Menschen in der Region zu unterstützen.