Eskalation in NOS: Türkische Bomben zielen direkt auf Zivilist*innen

Die türkischen Angriffe destabilisieren den syrischen Nordosten extrem. Neben ziviler Infrastruktur wurde jüngst auch ein Gefängnis getroffen, in dem IS-Kämpfer einsitzen. Viele konnten fliehen. Ein Interview mit unserem Partner Diyar vom PÊL Civil Waves Zentrum über die Lage vor Ort.

Bereits seit 2022 steht ihr unter türkischem Beschuss. In welcher Form haben sich die Angriffe der Türkei nun intensiviert?

Erst richteten sich die türkischen Bombardements hauptsächlich gegen Orte an der Grenze, was zu Fluchtbewegungen in die Städte Qamishli und Tirbespi/al-Qahtaniyya führte. Im vergangenen Jahr gab es zunehmend Drohnenbeschuss – mehrheitlich auf militärische Ziele, aber nicht nur. Doch in letzter Zeit hat sich die Situation drastisch verändert. Die Angriffe richten sich nun intensiv gegen Zivilist*innen. Supermärkte, Büros oder auch Hochzeitssäle – kein Ort ist sicher. Gezielt wird auch die gesamte zivile Infrastruktur bombardiert. Die Menschen können jetzt nur noch davon träumen, einen Tropfen Öl oder Wasser zu bekommen. Es gibt keinen Strom mehr, deshalb müssen sie mit Kerzen ihre Häuser beleuchten.

Wie erlebt die Zivilbevölkerung die andauernden Bombardements?

Alle leben in ständiger Angst. Wer sein Haus verlässt, nimmt das Risiko in Kauf, zu sterben. Trotzdem müssen sich viele täglich auf die Suche nach Benzin oder Wasser machen. Jedes unerwartete Geräusch lässt die Menschen zusammenzucken, selbst wenn nur ein Trinkglas auf den Boden fällt. In den Gesichtern hat sich die Verzweiflung, Frustration und Depression tief eingegraben. Wir von PÊL sorgen deshalb dafür, dass unsere Mitarbeiter*innen, auch die ehrenamtlichen, psychologische Unterstützung bekommen. 

Stehen die Fabriken und Arbeitsstätten still oder gibt es trotz der Bombardements noch Möglichkeiten, die Produktion aufrechtzuerhalten?

Wer morgens zur Arbeit geht, weiß nicht, ob er abends wieder nach Hause kommt. Hunderte Arbeiter*innen sind bei Angriffen auf Fabriken und Büros bereits getötet worden. Das waren alles Zivilist*innen, die nur versucht haben, ihre Familien zu versorgen. Es wird immer schwieriger und gefährlicher, aber es muss weitergehen, sonst bricht alles zusammen. Der Schulunterricht sowie die Arbeit in den Selbstverwaltungsorganisationen und in den meisten zivilen Institutionen wurden vorläufig eingestellt. Es gibt keinen Alltag mehr.

Die Türkei hat auch ein Gefängnis bombardiert, in dem Tausende Kämpfer des sogenannten Islamischen Staat einsitzen. Wie beeinflusst das die Sicherheit und Stabilität in der lokalen Gemeinschaft?

Die türkische Regierung setzt alles daran, solche sensiblen Ziele zu treffen, um die Region weiter zu destabilisieren. Tatsächlich konnten dieses Mal viele IS-Kämpfer fliehen. Das ist ein großes Problem. Die Entflohenen sind äußerst gefährlich und potentielle Selbstmordattentäter. Wir werden bereits von der Türkei terrorisiert, wir haben keine Kapazitäten uns auch noch gegen den IS zu wehren. Das Fortbestehen unserer Gemeinschaft ist akut bedroht. Wir von PÊL versuchen mit unserer Botschaft nach außen durchzudringen und die Weltöffentlichkeit wachzurütteln. Alles, was wir wollen, ist hier in Frieden leben. Die Angriffe der Türkei müssen gestoppt werden! Bitte setzt euch dafür und für uns ein. Vergesst uns nicht!