Martin Lautwein vor der syrischen Botschaft in Berlin.

„Die Zeit muss kommen, in der die Verbrecher sich umdrehen müssen, wenn sie das Haus verlassen.“

Am 9. August 2018 wurde Martin Lautwein nach 48 Tagen aus dem syrischen Folterknast entlassen. Auch vier Jahre später kämpft Martin mit dem Erlebten, aber vor allem mit dem Mangel an politischen Konsequenzen. Besonders wütend macht ihn der Anblick der geöffneten syrischen Botschaft in Berlin.

Martin Lautwein vor der syrischen Botschaft in Berlin.
“Ich lebe jeden Tag in dem Wissen, dass ich nur aufgrund meines deutschen Passes nach Hause gekommen bin.” Lesen Sie hier das Interview mit Martin Lautwein 2020.

Am 9. August 2018 endet für den damals 27-jährigen Martin Lautwein ein 48-tägiger Albtraum – vorerst. Martin reist 2018 nach Nordsyrien, um vor Ort Hilfe zu leisten. Nur wenige Monate nach seiner Ankunft wird er zusammen mit seinem Kollegen vom syrischen Geheimdienst nach Damaskus verschleppt, in die berüchtigte “Palestine Branch” des syrischen Militärgeheimdienstes gebracht und dort misshandelt und gefoltert.

Heute lebt Martin wieder in Berlin. In Deutschland beteiligt er sich an der Strafverfolgung des syrischen Regimes und seiner Angestellten. Ein wichtiger, aber schleppender Prozess. Wir haben mit ihm an seinem Jahrestag gesprochen.

Adopt a Revolution: Wie fühlt es sich für dich an, morgen den Jahrestag deiner Freilassung zu begehen?

Martin Lautwein: Ich bin natürlich froh raus zu sein. Aber es ist trotzdem ein Unterschied, wenn man am Ende sieht, was dort im Gefängnis passiert ist und seine eigene Erfahrung dem gegenüber stellt, was anderen Menschen dort widerfahren ist. Und ich denke mir auch, ich bin nur rausgekommen, weil ich ein deutscher Staatsbürger bin.

Adopt a Revolution: In den letzten Jahren hast du Anzeige erstattet. Gegen wen und aus welchem Grund?

Martin Lautwein: Genau. In der Presse gab es leider immer die Schlagzeilen: „Deutscher erstattet Anzeige gegen das Assad Regime“. Ich habe die Anzeige nicht erstattet, sondern habe mich einer bestehenden Anzeige von Syrer*innen angeschlossen. In der Anzeige ginge es insbesondere um die Abteilung der „Palestine Branch“, oder auch „Branch 235“, das ist die Abteilung des Geheimdienstes, in der ich in Gefangenschaft geraten bin und in der ich auch vernommen wurde.

Wir haben ein deutsches Gericht, das festgestellt hat, dass der syrische Staat systematisch seine eigenen Bürger*innen foltert und trotzdem werden die gleichen Menschen dazu gezwungen zu dieser Botschaft zu gehen, um für viel Geld ihre Pässe erneuern zu lassen und auch Schmiergelder zu zahlen.

Martin Lautwein

Adopt a Revolution: Kannst du uns kurz erklären was an dieser Abteilung so besonders ist?

Martin Lautwein: Sie ist eine der berüchtigtsten Abteilungen des syrischen Geheimdienstes. Es ist ein riesiges, zentral in Damaskus gelegenes Gefängnis. Die Abteilung ist vor allem durch eine Vielzahl an Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekannt geworden.

Am 13.01.2022 fällt das Urteil im ersten Strafrechtsprozess gegen einen syrischen Geheimdienstmitarbeiter- ein Meilenstein. Weiterlesen

Adopt a Revolution: Du wohnst auch in Berlin, wo es noch eine syrische Botschaft gibt.

Martin Lautwein: Ja genau, ich wohne nicht unweit der syrischen Botschaft.

Adopt a Revolution: Gibt es noch andere Dinge, die dich wütend machen, abgesehen davon, dass die Botschaft offen gehalten wird?

Martin Lautwein: In erster Linie habe ich das Gefühl, dass die deutsche Politik am liebsten Verdrängen würde, welche Verbrechen in Syrien weiterhin passieren. Man scheint sich zu wünschen, dass die Syrer*innen jetzt endlich Ruhe geben. Wir stellen uns in Deutschland immer häufiger die Frage nach den Perspektiven für Geflüchtete nach Syrien zurückzukehren. Dabei hat sich im Grunde genommen nichts an den ursprünglichen Gründen geändert, die viele Menschen zur Flucht aus Syrien bewegt haben.

Adopt a Revolution: Hast du das Gefühl, dass sich in den letzten 4 Jahren seit deiner Freilassung etwas in der deutschen Politik in Bezug auf Syrien verändert hat?

Martin Lautwein: Nein. Einerseits hatten wir zwar das sehr wichtige Koblenz-Urteil – das gab mir ein bisschen ein Gefühl der Genugtuung – aber man muss sich auch vor Augen führen, dass in diesem Koblenz-Urteil diese Verbrechen, und die dahinter liegenden Struktur, nochmals bestätigt wurden. Es wurden nicht nur die zwei Einzeltäter verurteilt, sondern auch das Regime, in dessen Namen sie gehandelt haben.

Seitdem haben wir es schwarz auf weiß: All diese Dinge, die in syrischen Foltergefängnissen passieren, wurden klar dargelegt. Das war so ein wichtiges Urteil, aber es sind keine politischen Konsequenzen daraus gezogen worden.

Zum Beispiel ist die Botschaft in Berlin weiterhin offen. Wir haben ein deutsches Gericht, das festgestellt hat, dass der syrische Staat systematisch seine eigenen Bürger*innen foltert und trotzdem werden die gleichen Menschen dazu gezwungen in diese Botschaft zu gehen, um für viel Geld ihre Pässe erneuern zu lassen und auch Schmiergelder zu zahlen.

Das ist ein riesiger Widerspruch: Auf der einen Seite wurden wir als deutscher Staat international total für diesen Prozess gefeiert, aber haben überhaupt keine politischen Konsequenzen aus dem Urteil gezogen.

Wir müssen alles daransetzen, dass die Zeit kommt, in der es die Verantwortlichen für diese Verbrechen sind, die sich umdrehen müssen, wenn sie das Haus verlassen.

Martin Lautwein

Adopt a Revolution: Hat es für dich in den letzten Jahren einen Art Abschluss oder eine Form der Gerechtigkeit gegeben?

Martin Lautwein: Nein, also für mich persönlich gar nicht. Ich kann mit der Sache erst abschließen, wenn die Verbrechen aufhören. Es muss auch gesagt werden: Nur weil wir es geschafft haben, zwei ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienstes zu verurteilen, stoppt dass die Verbrechen des Regimes nicht. Es wird erst einen Abschluss geben, wenn die Leute, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden.

Adopt a Revolution: Möchtest du sonst noch irgendwas loswerden?

Martin Lautwein: Uns wurde natürlich vor der Freilassung gedroht, wenn wir darüber reden sollten, was im Gefängnis passiert ist, würde man uns überall auf der Welt finden. Ich bin mir im Klaren darüber, dass das eine leere Drohung ist. Wir müssen alles daransetzen, dass die Zeit kommt, in der es die Verantwortlichen für diese Verbrechen sind, die sich umdrehen müssen, wenn sie das Haus verlassen.