Seit April steht Idlib bereits unter Dauerbeschuss des Regimes und seiner russischen Verbündeten. Im Süden der Region verging seit Monaten kaum ein Tag ohne Luftangriffe auf zivile Ziele, bei denen bereits rund 500 ZivilistInnen starben. Die Bodentruppen des Regimes kamen anfangs aber nur langsam voran. Das hat sich geändert. Am 11. August nahmen Truppen der Assad-loyalen Allianz die strategisch wichtige Stadt Hubait im Süden Idlibs ein. Auch Khan Shaykhun könnte schon bald fallen.
Wie bei den vorherigen Offensiven auf Ost-Ghouta oder Daraa folgt der Vormarsch am Boden massiven Bombardements. Doch während bei den vergangenen Offensiven die Gebiete mitsamt ihrer Bewohner*innen eingenommen oder übergeben wurden, ist in den jetzt eingenommenen Orten offenbar niemand mehr da: Wer nicht im Bombenhagel gestorben ist, ist in der Regel bereits geflohen.
Unser Partner ABU RABI´ vom Zaitoun Magazine aus Saraqeb
Das ist wirklich eine Politik der verbrannten Erde: Wer bleibt, der stirbt.
Humanitäre Katastrophe mit Ansage
Ganz in der Nähe von Hubait liegt die Stadt Khan Shaykhun – die größte Stadt im südlichen Idlib und ein wichtiger Stützpunkt der Opposition – mit entsprechend symbolischem Wert. Aufgrund des Sarin-Einsatzes durch das Assad-Regime im April 2017 mit rund 90 Toten wurde die Stadt weltbekannt. Wie Videos zeigen ist aktuell von Khan Shaykhun fast nichts übrig. Ein großer Teil der Häuser ist zerstört, fast die gesamte Bevölkerung geflohen.
Während Assad Truppen auf die Stadt vorrücken und die Verteidigungslinien der oppositionellen Milizen nach den schweren Bombardements der syrischen und russischen Luftstreitkräfte zunehmend einbrechen, droht der südlichste Teil Idlibs abgeschnitten zu werden. Beobacher befürchten, wer dort bleibt, könnte dann – wie einst die Bevölkerung Ost-Aleppos, Ost-Ghoutas oder Yarmouks – belagert werden. Viele Menschen versuchen daher jetzt schnell noch Richtung Norden zu fliehen.
Was ist das Ziel der Bodenoffensive?
Es wird immer wieder vermutet, dass Verbindungs- und Handelsstraßen, die in den Norden führen, im Zentrum des Interesses des Assad-Regimes stehen. Die bereits eingenommene Hubait bietet Zugang zur wichtigen Autobahn zwischen der Hauptstadt Damaskus und Aleppo. Letztlich ist das erklärte Ziel des Regimes, die gesamte Region – wie alle von oppositionellen Akteuren konrollierte Regionen – wieder unter seine Kontrolle zu bekommen.
In Idlib war bislang jedoch die Türkei im Weg, die dort mit Beobachtungsposten präsent ist und oppositionelle Milizen unterstützt. Eigentlich hat die Türkei im Rahmen des Astana-Prozesses gar die Verantwortung für die „Deeskalationszone“ Idlib übernommen. An einer Deeskalation hatten sämtliche bewaffnete Akteure allerdings nur solange Interesse, wie dies zu ihrer militärischen Strategie passte.
Die Rolle der Türkei
Unsere Partner*innen vor Ort schätzen die Lage so ein: „Für uns war klar, dass die Türkei zugelassen hat, dass Hubait fällt. Deswegen glauben die Leute nun, dass doch ein Abkommen zwischen der Türkei und Russland ausgehandelt wurde. Und die Leute hier wollen wissen, was die Grenzen dieser Abmachung sind. Welche Städte dürfen noch eingenommen werden vom Regime?“
Viele Einwohner*innen Idlibs sehen sich als Spielball zwischen Russland, der Türkei und den anderen involvierten Mächten. „Noch beängstigender als die Realiät, in der wir hier leben, sind diese Abmachungen, von denen wir nichts erfahren. Wenn wir wüssten, was abgemacht ist, dann könnten wir uns darauf einstellen.“
Je weiter die Offensive vordringen kann, desto mehr Menschen werden sich entlang der geschlossenen türkischen Grenze stauen – desto katastrophaler werden die Bedingungen sein.