Ein Mitarbeiter des Zivilschutzes vor einem teils zerstörten Schafstall
Verschüttete Kinder, zerfetzte Zelte, Tierkadaver: Ein Helfer des Zivilschutzes am Tatort eines mutmaßlich russischen Kriegsverbrechens in Idlib

In Idlib beginnt 2022 mit russischen Kriegsverbrechen – und die Bundesregierung schweigt

Mutmaßlich russische Luftangriffe haben in der Region Idlib landwirtschaftliche Betriebe und ein wichtiges Wasserpumpwerk zerstört sowie etliche Zivilist*innen getötet. Die neue Bundesregierung hat sich nicht geäußert – dabei sollte sie jetzt Alles daran setzen, dass Putin die Angriffe auf die zivile Infrastruktur einstellt. Die Bevölkerung Nordwestsyriens braucht dringend internationalen Schutz.

Ein Mitarbeiter des Zivilschutzes vor einem teils zerstörten Schafstall
Verschüttete Kinder, zerfetzte Zelte, Tierkadaver: Ein Helfer des Zivilschutzes am Tatort eines mutmaßlich russischen Kriegsverbrechens in Idlib

Das Jahr 2022 beginnt für die Bevölkerung Idlibs mit etlichen schweren Luftangriffen auf zivile Ziele mit katastrophalen Folgen für die ganze Region. Am Sonntag zerstörten russische Luftangriffe die Wasserpumpstation Al-Arshani, die Idlib-Stadt mit Trinkwasser versorgt.

Am Neujahrstag griffen mutmaßlich russische Flugzeuge unter anderem ein kleines Flüchtlingslager und landwirtschaftlich genutzte Gebäude an, wobei zwei Kinder und ihre Mutter getötet und etliche Menschen verletzt wurden. 

Am Sonntag trafen mutmaßlich russische Geschosse eine Hühnerfarm – Angriffe auf landwirtschaftliche Betriebe häufen sich. Sie zielen offenbar darauf, die ohnehin prekäre Versorgungslage der Zivilbevölkerung weiter zu verschärfen. Die Strategie hinter diesen Kriegsverbrechen ist, oppositionell geprägte Bevölkerungsteile durch Hunger und Not zu zermürben – ein altbekanntes Muster im Syrien-Krieg. 

Droht eine neue Eskalation?

Die Angriffe kommen alles andere als überraschend, denn der im März 2020 von Putin und Erdogan ausgehandelte Waffenstillstand für Nordwestsyrien ist schon lange brüchig. Bereits im vergangenen Jahr kam es in der Region immer wieder zu heftigen Luftangriffen durch das Assad-Regime und seine russischen Verbündeten. 

Die aktuelle Angriffswelle geht über diese bereits „üblichen“ Bombardierungen hinaus und weckt zumindest Erinnerungen an vergangene Offensiven des Assad-Regimes, die hunderttausende Menschen zur Flucht nach Norden zwangen und tausenden Zivilist*innen das Leben kosteten. Bereits Ende 2019 führte eine Idlib-Offensive des Assad-Regimes zur Flucht von über eine Million Menschen Richtung türkische Grenze: 

Ob die systematischen Zerstörungen ziviler Infrastruktur aktuell eine Art Ersatzhandlung ist, weil Putin und Assad derzeit keine groß angelegte Bodenoffensive auf Idlib wagen, oder ob die Angriffe eher Vorboten einer größeren Militäroperation sind, ist umstritten.

Sicher ist: Die Zerstörungen machen die ohnehin schon katastrophale Situation der Zivilbevölkerung noch viel katastrophaler. So müssen etwa viele Menschen, die sich kaum Lebensmittel leisten können, jetzt auch noch teures Trinkwasser finanzieren, weil in Idlib-Stadt nichts mehr aus den Leitungen kommt. 

Die Bevölkerung sitzt in der Falle

Rund die Hälfte der Bevölkerung Nordwestsyriens musste bereits mindestens einmal vor Angriffen des Assad-Regimes fliehen. Vielen droht politische Verfolgung durch das Assad-Regime – insbesondere zivilen Aktivist*innen wie etwa unseren Partner*innen in Idlib. Sollte das Assad-Regime weiter nach Norden vorrücken, bleibt Hunderttausenden nur die Flucht an die abgeriegelte türkische Grenze. 

Die türkische Regierung hat an sich bereits kein Interesse, fliehende Menschen einreisen zu lassen und wird darüber hinaus von der EU zur Abriegelung der Grenze angehalten. Die Zivilbevölkerung Nordwestsyriens sitzt praktisch in der Falle. 

Was die Bundesregierung tun kann   

Ein großer Teil der aktuellen Angriffe geht von Flugzeugen der russischen Luftwaffe aus. Selbst die Bombardierungen, die Piloten des Assad-Regime ausführen, wären ohne russische Unterstützung nicht möglich. Die Bundesregierung muss daher Alles daran setzen, die russische Regierung unter Druck zu setzen. 

Ein erster Schritt wäre, die Kriegsverbrechen öffentlich zu verurteilen und auf eine internationale Untersuchung zu drängen. Im Rahmen der aktuellen diplomatischen Bemühungen, den drohenden Konflikt in der Ukraine abzuwenden, muss dringend auch das Thema Syrien mit auf den Tisch. Bislang gibt es keinerlei syrienbezogene Sanktionen gegen die russische Regierung. Die NordStream2-Pipeline darf unter gegebenen politischen Bedingungen keinesfalls in Betrieb genommen werden. 

Zudem muss die Bundesregierung in Kooperation mit anderen EU-Staaten und der Türkei endlich einen humanitären Korridor eröffnen, der Menschen aus Idlib die Flucht ermöglicht. Für sichere und legale Fluchtwege zu sorgen ist das Mindeste, was die Bundesregierung jetzt tun kann.