Revolution als Emanzipation

Die syrische Revolution hat eine neue feministische Bewegung hervorgebracht. Jetzt geht es darum, diesen Kampf zu sichern – für eine Zukunft, in der Gleichberechtigung keine Forderung, sondern Realität ist.

Als 2011 der sogenannte Arabische Frühling Syrien erreichte, war der Aufstand nicht nur ein Kampf für Demokratie und Freiheit, sondern auch ein Widerstand gegen tief verankerte patriarchale Strukturen. Frauen standen an vorderster Front der Proteste, riskierten ihr Leben für eine gerechtere Gesellschaft und erkämpften sich ihren Platz in der Revolution. Sie rebellierten nicht nur gegen das repressive Regime, sondern auch gegen jahrzehntelange institutionalisierte Unterdrückung, die sie aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben ausschloss. Sie forderten politische Grundrechte, Freiheit und Würde – und den Bruch mit einer männerdominierten Gesellschaft.

Institutionalisierte Unterdrückung durch das Assad-Regime

Die rechtliche Benachteiligung von Frauen war eines der zentralen Kontrollinstrumente des Assad-Regimes. Das Personenstandsgesetz, das Elemente der Scharia mit Überresten des französischen Rechts verbindet, diente der Festigung patriarchaler Machtstrukturen. Trotz seines angeblich säkularen Anspruchs nutzte das Regime religiöse Institutionen gezielt für seine Zwecke. Drei besonders einschneidende Gesetze verdeutlichen exemplarisch diese systematische Diskriminierung der Frauen:

  1. Staatsangehörigkeitsgesetz: Syrische Frauen dürfen ihre Nationalität nicht an ihre Kinder weitergeben – mit gravierenden Folgen für deren Aufenthaltsstatus, Bildung und Eigentumsrechte. Das Regime verlieh jedoch vereinzelt aus politischen Motiven Kindern syrischer Mütter die Staatsbürgerschaft, um Loyalität zu belohnen.

  2. Bewegungsfreiheit: Frauen verlieren das Sorgerecht für ihre Kinder, wenn sie diese an einen anderen Wohnort bringen als den im Ehevertrag oder Familienregister festgelegten. Selbst in Notlagen, wie bei der Flucht aus Kriegsgebieten, benötigen Frauen die Erlaubnis eines männlichen Vormunds oder eines Scharia-Richters – eine bürokratische Hürde, die in bewaffneten Konflikten oft unüberwindbar ist.

  3. Ehrenverbrechen: Lange Zeit konnten Männer unter dem Vorwand der „Ehre“ weibliche Familienmitglieder töten und mit geringen Strafen rechnen. Frauenrechtlerinnen kämpfen bis heute unermüdlich gegen diese Praxis, doch die gesellschaftliche Toleranz solcher Verbrechen bleibt eine große Herausforderung.

Frauenorganisationen im Schatten des Regimes

Der Widerstand gegen diskriminierende Gesetze und patriarchale Strukturen war stets mit Gefahr verbunden. Vor 2011 existierte in Syrien offiziell nur eine einzige Frauenorganisation: die Frauenunion. Sie wurde von der Baath-Partei unter Hafiz Al-Assad gegründet und diente vorrangig der Kontrolle der Bevölkerung. Als faktisches Regierungsinstrument beschränkte sie sich auf Propaganda und formale Rechtsforderungen im Einklang mit der Parteipolitik. Unabhängige feministische Initiativen galten als Bedrohung und wurden systematisch unterdrückt. Aktivistinnen, die sich dennoch organisierten, wurden verfolgt, inhaftiert oder ermordet. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt – in Haft oder an Checkpoints – wurden gezielt eingesetzt, um Frauen zu stigmatisieren und einzuschüchtern.

Mit dem Beginn der Revolution entstand jedoch ein Raum für Widerstand. Frauen gründeten in befreiten Gebieten Zeitungen, schmuggelten Medikamente in belagerte Städte und vernetzten städtische und ländliche Oppositionsbewegungen. Eine der prominentesten Aktivistinnen war unsere Partnerin, die Rechtsanwältin Razan Zaitouneh. Unermüdlich dokumentierte sie Menschenrechtsverletzungen in ländlichen Gebieten und setzte sich für Gerechtigkeit ein – bis sie 2013 in Douma entführt wurde. Bis heute fehlt jede Spur von ihr.

Frauen unter radikal-islamistischer Herrschaft

Doch nicht nur das Regime unterdrückte Frauen: Auch in Gebieten, die von radikal-islamistischen Gruppen kontrolliert wurden, verschlechterte sich die Lage für Frauen dramatisch. Frauen, die sich widersetzten, wurden bedroht, inhaftiert oder sogar ermordet. In Flüchtlingslagern sind Frauen zudem besonders vulnerabel – sie leiden unter Gewalt, Zwangsverheiratung und einem nahezu vollständigen Ausschluss von Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Lokale Behörden behinderten die Arbeit von Frauenorganisationen, ignorierten die finanzielle Notlage von Frauen und notwendige Schritte zur Gleichstellung.

Trotz dieser extremen Bedingungen ließen sich Aktivistinnen nicht entmutigen. Viele unserer Partnerinnen gründeten in den vom Regime befreiten Gebieten eigene Frauenzentren und Organisationen. Darunter Huda Khaity, Leiterin des Women Support & Empowerment Center. Zunächst Mitglied der Frauenunion in Damaskus, erkannte sie schnell, dass diese kaum etwas mit echten Frauenrechten zu tun hatte. In Ost-Ghouta, einem bis ins Jahr 2018 von Rebellen gehaltenen Vorort von Damaskus, baute sie ihr eigenes Frauenzentrum auf. Doch nach jahrelanger Belagerung wurde es durch das Regime zerstört – dabei starb eine junge Englischlehrerin und Mutter eines Säuglings. Khaity ließ sich nicht entmutigen und schuf nach ihrer Flucht nach Idlib erneut einen sicheren Raum für Frauen.

Trotz Krieg, Vertreibung und patriarchaler Strukturen bauten unsere Partnerinnen starke Netzwerke auf und schufen Räume, in denen Frauen sich organisieren, stärken und für ihre Rechte kämpfen können. Sie sind Vorbilder und Pionierinnen eines feministischen Widerstands.

Die Zukunft der feministischen Bewegung in Syrien

Trotz brutaler Repression und systematischer Unterdrückung haben syrische Frauen bewiesen, dass sie eine treibende Kraft im revolutionären Kampf sind. Die Revolution hat gezeigt, dass ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel möglich ist. Frauen haben nicht nur Widerstand geleistet, sondern aktiv neue Strukturen geschaffen – durch unabhängige Medien, Hilfsnetzwerke und politische Organisierung.

Die Herausforderung besteht nun darin, diesen Wandel nachhaltig zu sichern und feministische Stimmen im Diskurs über Syriens Zukunft zu stärken.

Doch der Widerstand bleibt mühsam. Im Dezember 2024 wurde Aisha al-Dibs zur Leiterin des neu geschaffenen Büros für Frauenangelegenheiten in der syrischen Übergangsregierung ernannt. Zuvor war sie im Bereich humanitärer Hilfe tätig und lebte mehrere Jahre in der Türkei. In ihrer neuen Position betonte sie die Absicht, ein eigenes Modell für die Rolle der Frau in Syrien zu entwickeln – basierend auf islamischem Recht und traditionellen Werten. Feministische Organisationen seien nur dann willkommen, wenn sie sich diesem ideologischen Kurs unterordnen. Mit dieser Haltung stellte sie sich klar gegen unabhängige Frauenrechtsbewegungen und sorgte für scharfe Kritik.

„Das von Aisha al-Dibs und der syrischen Regierung propagierte Modell entspricht nicht den Bedürfnissen der syrischen Frauen – es stellt nur eine Reihe von Zugeständnissen dar. Wir können es uns nicht leisten, Schritte zurückzugehen oder auf unsere Rechte zu verzichten.“

– Najla Temo, Frauenzentrum Sawiska, Qamishli

Diese Einschränkungen für feministische Organisationen zeigen, wie schwer es Frauenrechtlerinnen gemacht wird, sich politisch zu beteiligen. Auch beim Vorbereitungskomitee für den syrischen Nationaldialog zeigt sich das Ungleichgewicht: Von acht Mitgliedern sind immerhin zwei Frauen vertreten. Doch während die ernannten Männer größtenteils in Syrien leben und arbeiten, sind Hind Kabawat und Huda Al-Atassi im Ausland tätig – ein Umstand, der Kritik hervorruft.

Viele Aktivistinnen, darunter unsere Partnerinnen, weigern sich jedoch, sich mit dieser Situation abzufinden:

„Wir Frauen haben in den letzten vierzehn Jahren bewiesen, was wir erreichen können. Wir haben für die Revolution gekämpft, jetzt werden wir uns unsere Freiheiten nicht nehmen lassen! Wir sind bereit, erneut auf die Straße zu gehen. Der feministische Kampf hat nie aufgehört.“

– Wajiha Talal Hajjar, Baladi, Suweida

Der Kampf um Anerkennung und Selbstbestimmung prägt das Leben syrischer Frauen bis heute. Jeden Tag verteidigen sie ihre Rechte, ihre Würde und ihre Zukunft – in einem Land, das sich im Umbruch befindet. Ihr Einsatz für Gleichberechtigung ist untrennbar mit dem Streben nach einer gerechten Gesellschaft verbunden.

„Die Revolution ist nicht vorbei – sie beginnt gerade erst. Denn ohne Geschlechtergerechtigkeit kann es keine echte Freiheit geben!“

– Safa Kamel, Fraueninitiative KLYA, Afrin & Ost-Ghouta

Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Frauenorganisationen Ressourcen zur Verfügung haben, um sich und andere zu empowern. Denn sie kämpfen an erster Stelle für ein Syrien, in dem auch Frauen ein würdiges Leben führen können.