Der ehemalige Militärfotograf, Kronzeuge und Namenspatron der „Caesar-Sanktionen“ bei einer Anhörung im US-Senat.

Überblick: Die Syrien-Sanktionen und ihre Folgen

Hängt die zunehmende Not der syrischen Bevölkerung mit den Syrien-Sanktionen zusammen, die die EU und die USA erlassen haben? Oder verdankt sie sich vor allem der Politik des Assad-Regimes, dem die Sanktionen gelten? Unser Überblick bietet, was man zur Debatte über die Syrien-Sanktionen wissen sollte.

Der ehemalige Militärfotograf, Kronzeuge und Namenspatron der „Caesar-Sanktionen“ bei einer Anhörung im US-Senat.

Die USA und die Europäische Union, aber auch Großbritannien, Kanada, Australien, die Schweiz, Japan, die Türkei, Norwegen und die Arabische Liga haben Sanktionen gegen das Assad-Regime bzw. gegen bestimmte syrische Akteure oder bestimmte Handelsbeziehungen erlassen.

Mehr zum Thema in unserer Zeitung 2021/22 und den dazugehörigen Artikeln: »Solidarität den Hütten! Sanktionen den Palästen!«

Die meisten dieser Sanktionen wurden seit 2011 als Reaktion auf die brutale Repression der syrischen Oppositionsbewegung verhängt. Die Sanktionen schränken die Handlungsfähigkeit des Assad-Regimes und seines engeren Umfelds ein, haben allerdings auch gravierende wirtschaftliche Nebenwirkungen für die syrische Bevölkerung. Daher werden die Sanktionen in der unabhängigen syrischen Zivilgesellschaft kontrovers diskutiert.

Die Sanktionen sind nicht der Hauptgrund für die Not

Inwieweit die Sanktionen für das zunehmende Elend der syrischen Bevölkerung mitverantwortlich sind, ist strittig. Die Einschätzungen hierzu variieren stark. Wie wir unten detailliert darstellen, gibt es viele Faktoren für die zunehmende Not in Syrien – und die meisten davon verantwortet das Assad-Regime.

Nicht zuletzt trägt das Regime auch die Verantwortung für die Sanktionen – ihr Grund sind die vom Assad-Regime verantworteten, in ihrem Ausmaß kaum vorstellbaren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Das Assad-Regime hat es in der Hand, die Sanktionen zu beenden – durch eine Beendigung des Kriegs gegen die eigene Bevölkerung, die Freilassung der politischen Gefangenen, das Ende der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ein glaubwürdiges Engagement im UN-Friedensprozess.

Sorgen die Sanktionen für eine Verhaltensänderung des Regimes?

Inwiefern die aktuellen Sanktionen allerdings geeignet sind, das Regime zu einer solchen Verhaltensänderung zu bewegen, ist sehr fraglich – die Gründe dafür legen wir unten dar. Die Sanktionen allein sind daher kein Ersatz für eine politische Strategie für Syrien.

Eines aber erreichen die Sanktionen: Sie sorgen effektiv dafür, dass sich das Assad-Regime sich nicht einfach ungeachtet all seiner Verbrechen international rehabilitieren kann. Eine Rehabilitierung des Regimes wäre nicht allein Hohn für die Opfer dieser Verbrechen, sondern auch ein Zeichen für andere Diktaturen und Autokratien, dass selbst die brutalste Unterdrückung der eigenen Bevölkerung international ohne Konsequenzen bleibt.

»Die Sanktionen sind ein Zeichen der Hilflosigkeit des Westens«: Interview mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Salam Said

Die Debatte über die Syrien-Sanktionen erfordert daher sorgfältige differenzierende Abwägungen. Im Folgenden stellen wir dazu erforderliche Hintergründe zusammen. Die hier genutzten Quellen sind beispielhaft in den einzelnen Kapiteln verlinkt. Am Ende des Beitrags findet sich eine Liste wichtiger Quellen und weiterführender Links.

+ Sind die Sanktionen für die Not in Syrien verantwortlich?

In den letzten zehn Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation großer Teile der syrischen Bevölkerung drastisch verschlechtert. Das liegt aber nicht allein an den Sanktionen, sondern vor allem an den größtenteils vom Assad-Regime verantworteten Kriegsfolgen und an der kleptokratischen Wirtschaftspolitik. Dies sind die Hauptfaktoren für den wirtschaftlichen Niedergang seit 2011. 

Allerdings hat sich die wirtschaftliche und humanitäre Situation in Syrien seit 2018 nochmal dramatisch verschlechtert – also zu einem Zeitpunkt, als das Assad-Regime die meisten oppositionell kontrollierten Territorien zurückerobert hat und die Kampfhandlungen daher abnahmen. Dieser Niedergang ist neben den Kriegsfolgen und der Kleptokratie vor allem auf drei Faktoren zurückzuführen: Die Libanon-Krise, die die syrische Wirtschaft stark betrifft, die Corona-Pandemie sowie die forcierten Sanktionen der USA, die sich aus dem sogenannten “Caesar Act” ergeben. (Siehe dazu etwa Karam Shaar und Wael al-Alwani, 8/2021

Die Einschätzungen, inwieweit die desaströse Lage Syriens durch diese Sanktionen bedingt ist, variieren stark. Die vielen Faktoren für den wirtschaftlichen Verfall des Landes verstärken sich gegenseitig und sind schwer objektiv zu gewichten. Vieles spricht dafür, dass die Sanktionen mitverantwortlich sind für die gravierende Situation, aber auch dafür, dass eine Aufhebung der Sanktionen die wirtschaftliche Lage Syriens nur unwesentlich verbessern würde.

Krieg und Kleptokratie: Hauptursachen des wirtschaftlichen Niedergangs

Ein Großteil des wirtschaftlichen Niedergangs ist eine Folge des seit 2011 andauernden Konflikts. Das BIP Syriens schrumpfte zwischen 2010 und 2019 von 60,2 Milliarden Dollar auf rund 21,6 Milliarden Dollar. Die Kaufkraft des syrischen Binnenmarktes sank von 2010 bis 2020 um 93 Prozent. Die Preise für Lebensmittel sind seit 2010 um das 32-fache gestiegen. Heute leben über 85 Prozent der syrischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, mehr als 11 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe. (Siehe etwa Joseph Daher, 2020)

Kriegsfolgen

Der wichtigste Grund für den wirtschaftlichen Verfall der letzten zehn Jahre sind die unmittelbaren Kriegsfolgen. Der Großteil der großflächigen Zerstörungen verdankt sich Luftangriffen und Raketen- und Granatbeschuss des Assad-Regimes und der russischen Luftwaffe auf ehemals oppositionell kontrollierte Städte und Regionen. In Aleppo, Homs, in Ost-Ghoutas, in Süddamaskus, in Deir-ez-Zor und Dutzenden kleineren Orten im ganzen Land wurde fast die gesamte zivile Infrastruktur, so gut wie alle Produktionskapazitäten und ein Großteil der Wohneinheiten vernichtet. Ein weiterer Teil der Zerstörungen geht auf Luftangriffe der US-geführten Internationalen Koalition gegen den IS zurück, die etwa Raqqa fast komplett zerstörten, sowie auf Angriffe der Türkei im Nordosten. Auch wenn oppositionelle Milizen mangels Luftwaffe weniger materielle Zerstörungen anrichten konnten als andere Akteure, trugen und tragen sie durch Granatbeschuss auf zivile Ziele, Bombenanschläge, systematische Plünderungen und andere räuberische Aktivitäten zur desolaten Lage bei. (Siehe etwa Syria Report 2019 )

Auch die Fragmentierung des Landes durch die zahlreichen Frontlinien sowie die Flucht der Hälfte der ursprünglichen Bevölkerung sind Faktoren für den wirtschaftlichen Niedergang. Über sechs Millionen Syrer*innen sind ins Ausland geflohen, und die teure Flucht aus Syrien heraus konnten sich vor allem gut ausgebildete Menschen leisten. Auch wenn ihre Geldrücksendungen (“Remittances”) nach Syrien das Überleben Hunderttausender Familien sichern, fehlt ihre Arbeitskraft in Syrien – besonders etwa im medizinischen Bereich. 

Die Vertreibungen innerhalb Syriens vernichteten die Lebensgrundlage von weiteren Millionen Menschen. Trotz aller Resilienz schafft es in der Regel nur ein Teil der Binnenflüchtlinge, sich am Zufluchtsort eine neue Existenz aufzubauen. Müssen Menschen mehrmals fliehen, sind die Ressourcen für den Aufbau einer neuen Lebensgrundlage schnell erschöpft. (Siehe etwa beispielhaft hier

Folgen der Kleptokratie

Ein bereits lange vor 2011 prägender Faktor für die wirtschaftliche Situation Syriens ist die mafiös geprägte Innen- und Wirtschaftspolitik des Assad-Regimes, die über das, was gemeinhin als “Korruption” oder “Misswirtschaft” bezeichnet wird, weit hinausgeht. 

So hat das Regime loyale Geschäftsleute durch die Privatisierung staatlicher Güter regelrecht beschenkt und ihnen durch die Repression unliebsamer Konkurrenz Monopolstellungen ermöglicht. Das von zahlreichen Interessenkonflikten durchzogene kleptokratische Umfeld des Regimes beherrscht bis heute große Teile des wirtschaftlichen Leben Syriens, hat sich im Zuge des Konfliktes aber auch verändert, etwa weil regimeloyale Warlords sowie iranische und russische Akteure Belohnung für die Unterstützung des Regimes einfordern. (Siehe beispielhaft dazu hier)

Die Sanktionen schränken die Aktivitäten dieser kleptokratischen Netzwerke zwar ein, aber letztlich sind diese sehr anpassungsfähig und können sich durch die forcierte Ausbeutung der Bevölkerung weitgehend schadlos halten. Manche Studien gehen gar davon aus, dass die Sanktionen eher dazu führen, dass das Regime und seine “Crownies” noch enger kooperieren. 

Beschleunigter Niedergang seit 2018

Der wirtschaftliche und humanitäre Niedergang Syriens hat sich allerdings 2019 und 2020 weiter beschleunigt – und dies ist zumindest keine unmittelbare Folge des Krieges, sondern Auswirkung der Libanon-Krise, der Corona-Pandemie und des 2019 beschlossenen und 2020 in Kraft getretenen »Caesar«-Sanktionspakets der USA. Aufgrund der Gleichzeitigkeit dieser drei Entwicklungen sind deren Folgen allerdings schwer auseinanderzudividieren (siehe etwa Jihad Yazigi 3/2020).

Fakt ist, dass sich die Nahrungsmittelpreise 2020 vervielfacht haben. Ein Kilo Weizenmehl kostete 2018 noch rund 200 Syrische Pfund. Je nach Region müssen Syrer*innen hierfür nun 1500 oder gar 2000 Syrische Pfund aufwenden. Der bereits 2013 beginnende Währungsverfall des syrischen Pfunds hat sich 2019 rapide beschleunigt. Im Januar 2019 kostete ein US-Dollar noch rund 500 syrische Pfund. Heute kostet ein US-Dollar das sechs- oder sogar achtfache – also zwischen 3000 und knapp 4000 Syrische Pfund. 

Nach Angaben des World Food Programms hat sich die Zahl der Menschen, deren Ernährung nicht durchweg gesichert ist, im Zeitraum von 2018 bis Ende 2020 verdoppelt und liegt nun bei 12.4 Millionen – das sind 60 Prozent der Bevölkerung. Allein Anfang 2020 haben laut World Food Programm 1,4 Millionen Menschen den sicheren Zugang zu ausreichender Nahrung verloren. 

+ Schränken die Sanktionen humanitäre Hilfe ein?

Die Sanktionen der USA und der EU ermöglichen es explizit, medizinische Güter, Nahrungsmittel und andere für die humanitäre Hilfe relevante Dinge nach Syrien zu importieren. Die Intention der Gesetzgeber*innen ist es, die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sanktionieren, ohne dabei der Normalbevölkerung zu schaden. 

Es ist aber weitgehend unumstritten, dass die Sanktionen trotzdem Nebenwirkungen für die Normalbevölkerung haben. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Da es zahlreiche sich überschneidende Sanktionsregelungen unterschiedlicher Länder gibt, beklagen manche Hilfsorganisationen hohen bürokratische Aufwand, um Genehmigungen für humanitäre Importe zu erhalten bzw. sich rechtlich abzusichern. 

Ein weiteres großes Hindernis für die Einfuhr nicht-sanktionierter Güter ist die so genannte “Overcompliance”. So fürchten viele  internationale Banken, Versicherungen und andere Dienstleister, dass sie sanktioniert werden könnten, wenn sie Transaktionen mit Bezug zu Syrien ermöglichen. Der Aufwand, genau zu prüfen, ob ein Geschäft Risiken für sie mit sich bringt, ist den Banken, Versicherungen  oder Transportunternehmen oft zu hoch – also verweigern sie pauschal Geschäfte mit Syrien-Bezug. (Siehe detailliert dazu etwa Joseph Daher 2020)

Probleme gibt es auch in Hinblick auf sogenannte Dual-Use-Güter – also Güter, die für militärische, aber auch für zivile Zwecke eingesetzt werden können. Dies betrifft etwa Chemikalien oder andere Güter, die im landwirtschaftlichen oder medizinischen Bereich benötigt werden. Hier müssen Hilfsorganisationen hohen bürokratischen Aufwand betreiben, um nachzuweisen, dass die Importe in Syrien nicht in falschen Händen landen. (Siehe etwa hier

Ein schwerwiegenderes Problem ist, dass die teilweise sanktionierte Entourage des Assad-Regimes einen großen Teil der syrischen Wirtschaft kontrolliert. In Syrien Geschäfte zu machen, ohne dabei auf Kontakte zum Assad-Regime zurückgreifen zu können, ist schwierig und in manchen Branchen unmöglich. Daher ist es kaum möglich, die Geschäfte von Assads kleptokratischer Clique zu treffen, ohne auch der syrischen Normalbevölkerung zu schaden. (Siehe etwa hier)

Die wirtschaftliche Hegemonie von Assads Clique bedeutet zugleich, dass die UN und andere Hilfsorganisationen sich oft gezwungen sehen, mit Leuten aus Assads-Entourage Geschäfte zu machen. Diese hoch problematischen Kooperationen ermöglichen es dem  Regime, sich durch humanitäre Hilfe zu bereichern und sie politisch zu instrumentalisieren – etwa indem es entscheidet, welche Bevölkerungsteile Hilfe erhalten und welche ausgeschlossen werden. (Siehe dazu etwa Human Rights Watch: “Rigging the System” oder The Syria Campaign: “Taking Sides”)

Das größte Hindernis für humanitäre Hilfe ist weiterhin die Politik Assads und seiner Verbündeten. Das Assad-Regime hat über Jahre hinweg oppositionell kontrollierte Gebiete belagert und systematisch von UN-Hilfslieferungen ausgeschlossen. Aktuell findet die Taktik des Aushungerns ihre Fortsetzung in der Politik Russlands, die den UN die Einfuhr dringend benötigter Hilfen nach Nordsyrien erschwert.

+ Behindern die Sanktionen den Wiederaufbau?

Bei der Rückeroberung ehemals oppositionell kontrollierter Gebiete haben das Assad-Regime und seine russischen und iranischen Verbündeten viele Stadtteile und Ortschaften so gut wie komplett zerstört (ein Beispiel: Ost-Ghouta). Ein Teil der ehemaligen Einwohner*innen wurde vertrieben oder versucht sich in den Ruinen über Wasser zu halten.

Die Wiederaufbau-Pläne des Regimes sehen jedoch in vielen Fällen nicht vor, die zerstörten Viertel wieder aufzubauen. Die Rückkehr der Vertriebenen zu ermöglichen oder die Not der verblieben Bewohner*innen in den als illoyal geltenden Vierteln zu lindern liegt nicht im Interesse des Regimes. Vielerorts plant es stattdessen, die Eigentümer der Grundstücke zu enteignen und anstelle der ehemaligen Gebäude und Infrastruktur Immobilienkomplexe zu errichten. Diese sind nicht für die ehemaligen Bewohner*innen der Viertel gedacht, sondern sollen regimeloyalen Bevölkerungsgruppen sowie bestimmten Investoren zugute kommen. (Analysen und Hintergründe dazu hier

Dies ist der hauptsächliche Grund, warum westliche Staaten sich bislang wenig gewillt zeigen, den Wiederaufbau der vom Assad-Regime kontrollierten Landesteile zu unterstützen oder diesbezüglich Sanktionen abzubauen. 

Zugleich ist offensichtlich, das humanitäre Hilfe allein nicht nachhaltig ist und es Investitionen in Syriens Infrastruktur braucht, um die humanitäre Situation in den von Zerstörungen besonders betroffenen Regionen zu verbessern. 

Russland und das Assad-Regime setzen darauf, dass Europa sich beim Wiederaufbau der größtenteils von Russland und dem Assad-Regime zerstörten Gebiete engagiert, um die Rückkehr von Geflüchteten zu ermöglichen. Bislang erteilen Deutschland und die EU dem eine Absage.

Das Interesse russischer, iranischer, libanesischer oder auch chinesischer Firmen, sich am Wiederaufbau Syriens zu beteiligen, gilt als nicht besonders ausgeprägt, wird aber durch den Caesar-Act langfristig nochmals gemindert. Davon geht etwa Jihad Yazigi aus. Tatsächlich behindern die Sanktionen einen Wiederaufbau im Sinne Assads – der der notleidenden Bevölkerung aber nur begrenzt zugute kommen dürfte.  

+ Überblick: Syrienbezogene US-Sanktionen

Die USA verhängten bereits 1979 Sanktionen gegen bestimmte syrische Akteure. Seitdem wurde das Sanktionsregime immer wieder verschärft. Neben personenbezogenen (auch “listenbasierten”) Sanktionen erließen die USA sektorenbezogene Sanktionen, etwa gegen Ölhandel mit Syrien. 

Mit dem Caesar-Act von 2019 wurden die für die syrische Wirtschaft wohl bedeutendsten Sanktionen erlassen, da diese nicht nur syrische und US-amerikanische Akteure betreffen, sondern darauf zielen, andere internationale Akteure von Geschäften abzuhalten, die dem Assad-Regime und dessen Entourage nutzen könnten. Diese “sekundären” Sanktionen haben weitreichende Folgen für die syrische Wirtschaft und den Wiederaufbau Syriens. Daher sind die Caesar-Sanktionen besonders umstritten.

+ US-Sanktionen vor 2011

Die USA sanktionieren Syrien bereits seit 1979, da sie der syrische Regierung staatliche Terror-Unterstützung vorwerfen – etwa die Unterstützung der Hisbollah.

Ab 2001 erließen die USA Sanktionen gegen ausgewählte syrische Geschäftsleute und Militärs. Hintergrund waren die Terroranschläge vom 11. September 2001 sowie der Irak-Krieg. 2004 wurden weitere Sanktionen erlassen, die nicht nur einzelne Personen betrafen, sondern auch die Ausfuhr von US-Gütern nach Syrien verboten – ausgenommen medizinische Güter und Nahrungsmittel. Begründet wurden diese sektorbasierten Sanktionen damit, dass die syrische Regierung Massenvernichtungswaffen besitze, den Libanon besetzt halte und terroristische Gruppen unterstütze.  

2005 und 2006 erließen die USA Sanktionen gegen das staatliche Wissenschaftszentrum “Syrian Scientific Studies and Research Center”, das in die Produktion von chemischen und biologischen Waffen involviert ist. Ebenso wurden Sanktionen gegen die in Geldwäsche-Geschäfte verwickelte staatliche Syrische Handelsbank erlassen.

+ US-Sanktionen nach 2011

In Folge der brutalen Niederschlagung des Aufstands und Assads Krieg gegen große Teile der syrischen Bevölkerung haben die USA ihre syrienbezogenen Sanktionen schrittweise ausgeweitet. Standen Ende 2010 nur elf syrische Staatsbürger auf den Sanktionslisten der USA, waren es im April 2021 insgesamt über 400. 

Ab April 2011 erließen die USA Sanktionen in Zusammenhang mit den Repressionen des Assad-Regimes gegen die syrische Demokratiebewegung. Ein Teil dieser Sanktionen ist listenbasiert und richtet sich gegen etliche mit dem Assad-Regime verbundene Personen, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verantwortlich sind oder waren.

Im August 2011 erließen die USA auch sektorale Sanktionen, die es US-Bürger*innen verbieten, in Syrien zu investieren, die Exporte nach Syrien und den Import von syrischem Öl verbieten. In Folge des Sarin-Angriffs auf die Stadt Khan Sheikhoun verschärften die USA im April 2017 ihre Sanktionen gegen das für das syrische Chemiewaffenprogramm verantwortliche “Syrian Scientific Studies and Research Center”.

+ Der Caesar-Act von 2019

Das 2019 von den USA beschlossene und 2020 in Kraft getretene Caesar-Gesetz zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung erweiterte die US-Sanktionen nochmals deutlich. Seinen Namen verdankt das Sanktionspaket dem desertierten Militärfotografen mit dem Decknamen Caesar, der Tausende Fotos zu Tode gefolterter Personen aus Syrien geschmuggelt hat und damit der Welt das Ausmaß der vom Assad-Regime verantworteten Verbrechen vor Augen führte. 

Die Reichweite der mit dem Caesar-Act beschlossenen Sanktionen geht über frühere Sanktionen vor allem deshalb hinaus, weil es sämtlichen internationalen Unternehmen und Akteuren mit Strafen droht, die mit dem Assad-Regime oder sanktionierten Personen Geschäfte machen. Diese “sekundären Sanktionen” erschweren eine internationale Rehabilitierung des Assad-Regimes und sind daher ein wirkungsvolles Instrument gegen die drohende Straflosigkeit der Verbrechen des Regimes. 

Zugleich haben diese “sekundären Sanktionen” vermutlich deutliche Nebenwirkungen für die syrische Bevölkerung, weil sie Geschäfte mit Syrienbezug generell einschränken und sich wirtschaftliche Konsequenzen nicht einfach auf einzelne Sektoren beschränken lassen. Nahrung, medizinische Güter und andere humanitäre Hilfsgüter sind von der Sanktionierung ausgenommen, aber wie oben geschildert sorgt z.B. die sogenannte Overcompliance dafür, dass auch humanitär intendierte Geschäfte erschwert werden.

Gegen die Kritik am Caesar-Gesetz wenden dessen Befürworter ein, dass es nachvollziehbare Bedingungen an das Assad-Regime stellt. Um die Sanktionen abzuwenden müssten das Assad-Regime und seine Alliierten die Luftangriffe auf zivile Ziele einstellen, die Belagerungen und belagerungsähnlichen Zustände beenden, die politischen Gefangenen freilassen und internationalen Beobachtern Zugang zu den Gefängnissen gewähren, die Bedingungen der Chemiewaffenkonvention erfüllen, Geflüchteten eine sichere Rückkehr ermöglichen und unabhängige Strafverfolgung der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zulassen. 

Ein “Regime-Change” ist somit keine explizite Bedingung für die Aufhebung der Caesar-Sanktionen. Doch die Erfüllung dieser Bedingungen ist mit Assad als Präsident unvorstellbar. Eine unabhängige Ahndung der Menschenrechtsverletzungen in Syrien würde unweigerlich dazu führen, dass Assad und zahlreiche führende Figuren des Regimes wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt würden.

+ Syrienbezogene Sanktionen der EU

Vor Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime und dessen Niederschlagung gab es zahlreiche wirtschaftliche Verflechtungen zwischen Syrien und der EU und ihren Mitgliedstaaten. Aufgrund der brutalen Niederschlagung der Proteste erließ die EU ab 2011 in kurzer Folge
listenbasierte Sanktionen, die seither jährlich verlängert bzw. überarbeitet wurden. In der Regel wurden Konten der Betroffenen gesperrt und/oder Einreiseverbote erlassen. 

Ebenso fror die EU Gelder staatlicher syrischer Banken ein und erließ ein Exportverbot für Überwachungstechnologie, ein Öl-Importverbot sowie Restriktionen für bestimmte Investitionen. Die Sanktionen zielen vor allem darauf, dem Regime den Zugang zu Devisen zu erschweren und den Repressionsapparat des Regimes zu schwächen. 

Da die EU vor 2011 relativ enge Handelsbeziehungen zu Syrien unterhielt, haben die EU-Sanktionen durchaus Folgen für das Regime. So exportierte Syrien 2010 rund 80 Prozent seines Rohöls in EU-Staaten und erzielte damit rund 30 Prozent seiner Staatseinnahmen. Die für das Regime lukrativen Handelsbeziehungen wurden ab 2011 rapide unterbrochen. 

Zuletzt wurden die Sanktionen im Mai 2021 verlängert und gelten nun bis Mitte 2022. Auf den Sanktionslisten sind aktuell rund 280 Personen und 70 Organisationen erfasst. 

Die Sanktionen der EU beinhalten Ausnahmen, die den Import von medizinischer Hilfe, Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern ermöglichen sollen. Allerdings berichten Hilfsorganisationen, dass Banken und andere Dienstleister aus Furcht vor Sanktionen oft pauschal vermieden, Transaktionen oder etwa Transporte mit Syrien-Bezug zu ermöglichen (siehe Oben).

+ Wirken die Sanktionen?

Ob die Sanktionen ihren Zweck erfüllen, ist umstritten. Theoretisch zielen die Sanktionen darauf ab, seitens des Assad-Regimes und seiner Unterstützer*innen eine Verhaltensänderung zu erzielen. Das ist aus unterschiedlichen Gründen wenig realistisch. Zugleich lässt sich zeigen, dass die Sanktionen dennoch das Verhalten des Regimes und seiner Verbündeten und Kooperationspartner positiv beeinflussen. 

+ Die Sanktionen verfehlen ihr eigentliches Ziel

Die von den USA und der EU sanktionierten Personen stammen fast alle aus dem engeren Umfeld des Regimes. Auf den Sanktionslisten zu stehen gilt in Damaskus bereits als Loyalitätsbeweis gegenüber dem Regime. Dass sich Figuren aus diesem Umfeld aufgrund der Sanktionen von Assad abwenden, ist unwahrscheinlich und wäre aus deren Perspektive auch nicht rational. Da ihnen aufgrund der Sanktionen internationale Geschäfte verwehrt sind, intensivieren sie ihre Geschäfte innerhalb Syriens, und für diese sind sie auf Kooperationen mit dem Regime angewiesen. Wie Karam Shaars Analyse der Sanktionen zeigt, sind die Netzwerke des Assad-Regimes zugleich stabil und anpassungsfähig und könnten durch die Sanktionen sogar noch gefestigt werden.

Wie Karam Shaar und andere Analyst*innen zeigen, ist in vielen Fällen intransparent, welche Personen aus welchen Gründen auf den Sanktionslisten erfasst werden. So enthielten die Listen teils unbedeutende Personen, während etwa führendes Personal von Geheimdiensten oder regimeloyalen Milizen auf ihnen fehle. Teils enthielten die Sanktionslisten auch eklatante Fehler. Offenbar fehlt es den zuständigen EU- und US-Behörden an Ressourcen, um die Listen strategisch konsistent und sorgfältig zu führen. Das schmälert die Effektivität der Sanktionen und erleichtert es dem Regime, sie als Akt westlicher Willkür abzutun.

Karam Shaar zeigt auch in Anlehnung an spieltheoretische Überlegungen, dass Sanktionen tendenziell eher ungeeignet sind, um sanktionierte Staaten zu einer Verhaltensänderung zu zwingen. Anstatt sein eigenes Verhalten zu ändern erhofft das Assad-Regime offenbar schlicht eine Verhaltensänderung seitens der sanktionierenden Staaten – schließlich schränken die EU und die USA durch die Sanktionen Geschäftstätigkeiten ihrer eigenen Unternehmerschaft ein und haben daher selbst ein wirtschaftliches Interesse, irgendwann wieder zum “Business as Usual” überzugehen. Solange das Assad-Regime Russlands und Irans Unterstützung genießt, kann es daher bequem auf Zeit spielen. 

»We believe Assad’s choice not to concede to sanctions is rational, as the negative impacts of a political settlement are greater for him than those imposed by sanctions.« Karam Shaar & Wael al-Alwani 

Karam Shaar & Wael al-Alwani 

Auch in der Praxis weist bislang wenig darauf hin, dass das Regime die Intensität der Repressionen der von ihm kontrollierten Bevölkerung mindert oder im noch immer andauernden Krieg gegen die aufständigen Bevölkerungsteile auf den Einsatz von Kriegsverbrechen verzichten würde. Es wird weiterhin von Verhaftungswellen und Folter in den Gefängnissen berichtet. In Idlib greift das Assad-Regime weiter zivile Ziele an. Das von den UN moderierte Verfassungskomitee, in dem Regime und Opposition gemeinsam eine neue syrische Verfassung ausarbeiten sollen, wird vom Assad-Regime sabotiert.

+ Was die Sanktionen dennoch bewirken

Auch wenn das Assad-Regime den von den UN moderierten Prozess hin zu einer neuen syrischen Verfassung relativ offensichtlich sabotiert, sieht sich das Regime immerhin genötigt, sich zumindest nominal an diesem Prozess zu beteiligen. Dass das Regime – aber auch Russland und der Iran – überhaupt ein Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts haben und nicht einfach auf eine rein militärische Lösung setzen können, verdankt sich auch den Sanktionen.

Die Sanktionen blocken zudem effektiv Geschäfte internationaler Unternehmen mit dem Assad-Regime und verhindern so dessen ökonomische Normalisierung. So wurden etwa in der Vergangenheit mehrmals internationale Unternehmen sanktioniert und nach Abbruch ihrer Geschäftsbeziehungen zum Regime wieder von den Sanktionslisten gestrichen. Vor allem aber werden solche Geschäfte bereits im vornherein von den Sanktionen unterbunden.

Nicht zuletzt sind die Sanktionen ein Signal, dass autoritäre Staaten, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begehen, ökonomische Konsequenzen fürchten müssen. Dieses Signal demonstriert freilich vor allem die Hilflosigkeit des Westens, doch ohne Sanktionen wäre die Straflosigkeit der vom Assad-Regime begangenen Verbrechen total.

+ Was ist die Position der UN zu den Sanktionen?

Die Sanktionen der EU, der USA und anderer Staaten werden wegen ihres unilateralen Charakters kritisiert – oft ohne dass dabei Erwähnung findet, dass viele Staaten durchaus versucht haben, auf UN-Ebene multilaterale Sanktionen gegen das Assad-Regime durchzusetzen. Doch alle Versuche, das Assad-Regime für seine Verbrechen auf UN-Ebene multilateral zu sanktionieren, scheitern stets an russischen und chinesischen Vetos im UN-Sicherheitsrat. 

Die unilateral verhängten Sanktionen der USA, der EU und andere Staaten sind auch als Antwort auf die von Putin und Xi Jinping sichergestellte Straflosigkeit der Verbrechen des Assad-Regimes zu sehen – bzw. auf das Versagen der Vereinten Nationen, die syrische Zivilbevölkerung zu schützen.

Die UN spielt im Diskurs über die Sanktionen vor allem eine wichtige Rolle als Kronzeuge für Kritiker*innen der syrienbezogenen Sanktionen. So werden UN-General Antonio Guterres vom Assad-Regime und anderen Akteuren mit fragwürdigen Quellen kritische Zitate zu den Sanktionen gegen das Assad-Regime und seine Entourage in den Mund gelegt. Tatsächlich hat Guterres vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie alle Staaten aufgefordert, Sanktionen zu beenden, die in den sanktionierten Staaten die Kapazitäten zur Pandemiebekämpfung schmälern könnten. Inwieweit dies auf die syrienbezogenen Sanktionen zutrifft, ist strittig.

Dass die UN als Kronzeuge einer sehr pauschalen Kritik der syrienbezogenen Sanktionen gilt, verdankt sich vor allem der “Sonderberichterstatterin über die negativen Folgen unilateraler Zwangsmaßnahmen auf die Menschenrechtslage”. Wie der Name des von der UN-Generalversammlung geschaffenen Postens bereits festlegt, ist es nicht die Aufgabe der Sonderberichterstatterin, Sanktionen hinsichtlich all ihrer menschenrechtlichen Folgen abzuwägen, sondern allein über deren negative Folgen zu berichten. 

Aktuell hat den Posten die belarussische Rechtsexpertin Alena Douhan inne, die die Syrien-Sanktionen vehement ablehnt. Bereits ihr Vorgänger Idriss Jazairy hatte die Sanktionen scharf kritisiert, nachdem er 2018 auf Einladung des Assad-Regimes Damaskus besucht hatte. Das Regime ermöglicht UN-Beobachtern zwar keinen Zutritt zu den Gefängnissen, überzeugt diese aber bestimmt sehr bereitwillig vor Ort von den negativen Konsequenzen der Sanktionen.

Vor dem Hintergrund, dass sich die UN im Syrien-Konflikt in vieler Hinsicht vom Assad-Regime für dessen Ziele einspannen ließ, erscheint die Forderung der UN-Sonderbeauftragten nach der Aufhebung der Sanktionen zumindest zwielichtig.

+ Sollten die Sanktionen aufgehoben werden?

Neben dem Assad-Regime selbst und seinen russischen Verbündeten fordern auch manche internationale zivilgesellschaftliche Organisationen die Aufhebung der Syrien-Sanktionen. Unter anderem die  Assad-loyalen Würdenträger der syrischen Kirchen lobbyieren intensiv und erfolgreich christliche Organisationen, damit diese sich für die bedingungslose Aufhebung der Sanktionen einsetzen. Diese Forderung erheben etwa die Caritas und andere Akteure der katholischen Kirche.

Vom Krieg und den Zerstörungen in Syrien ist in den entsprechenden Verlautbarungen stets die Rede, als handle es sich um eine Art Naturkatastrophe. Der Hintergrund der Sanktionen – die Verbrechen des Assad-Regimes – werden bewusst ausgespart. Das gilt auch für Stellungnahmen von Friedensorganisationen wie IPPNW oder entsprechende Äußerungen aus der US-amerikanischen “sanctions kill” – Kampagne. In Deutschland profilieren sich vor allem die AfD und die Partei die Linke mit der Forderung, die Sanktionen aufzuheben.

Als eine Replik auf diese Forderungen zu verstehen ist ein entsprechender Aufruf syrischer zivilgesellschaftlicher Organisationen, der ebenso die Aufhebung der Sanktionen fordern. Dieser Appell richtet sich allerdings an das Assad-Regime: 

Assad: It is in your power to end Syria sanctions programmes. Engage in the UN agreed political process, end human rights violations and submit to the pillars of genuine justice.

Aufruf syrischer NGOs

Würden die Sanktionen aufgehoben, wäre das für das Assad-Regime, sein kleptokratisches Umfeld und seine russischen und iranischen Verbündeten ein großer Triumph und ein international wirkmächtiges Signal, dass die Strategie der Kriegsführung gegen die eigene Bevölkerung erfolgreich ist und für die Täter ohne Konsequenzen bleibt. Für die Opfer wäre dies der blanke Hohn. Vor dem Hintergrund ist die bedingungslose Aufhebung der Sanktionen kaum zu verantworten.

Ein “weiter so” scheint angesichts der Nebenwirkungen der Sanktionen allerdings auch keine Option. Es liegen mittlerweile zahlreiche Empfehlungen vor, wie die negativen Folgen der Sanktionen für die syrische Bevölkerung zumindest gemildert werden könnten und zugleich der Druck auf das Regime aufrecht erhalten oder auch gesteigert werden kann. Die Sanktionen der USA und der EU sollten in vieler Hinsicht überarbeitet werden.

+ Wie könnten die Sanktionen angepasst werden?

Die meisten fundierten Beiträge zur Debatte fordern nicht die ersatzlose Aufhebung der aktuell verhängten Sanktionen, sondern Anpassungen, die die Effektivität der Sanktionen steigern und ihre Nebenwirkungen mindern sollen. Diese Debatte ist komplex und sehr technisch, sodass hier nur einige wenige der international diskutierten Empfehlungen skizzieren. 

+ Vorschläge zur Minderung der Nebenwirkungen

Es liegen etwa mehrere Vorschläge vor, um sanktionsbedingte bürokratischen Hürden für humanitäre Hilfsorganisationen abzubauen sowie das Problem der “Overcompliance” zu lösen.

Der ehemalige UN-Sonderbeauftragte Idriss Jazairy und weitere Expert*innen schlagen zum Beispiel vor, dass die UN selbst eine Art Bank gründen solle, die Transaktionen für humanitäre Zwecke abwickelt. Kritiker*innen fürchten allerdings, eine solche UN-Institution könnte sich von Assad instrumentalisieren lassen  – wie es bereits bei der Verteilung von UN-Hilfsgütern der Fall war. (Siehe dazu etwa Human Rights Watch: “Rigging the System” oder The Syria Campaign: “Taking Sides”)

Das Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) empfiehlt unter anderem, dass die USA und die EU in Anbetracht der Pandemie die Exporteure medizinischer und anderer dringend benötigter Güter proaktiv informieren, dass humanitäre Lieferungen von den Sanktionen ausgenommen sind. Zudem fordert das SJAC, bestimmte Dual-Use-Güter vom Einfuhrverbot temporär auszunehmen. Als ein Vorbild für einen Nothilfemechanismus für Syrien nennt das SJAC einen zwischen der Schweiz und dem Iran etablierten Handelsweg für bestimmte humanitäre Güter. 

Salam Said und andere fordern in diesem Zusammenhang eine “White List”, um humanitäre Hilfe zu erleichtern. Eine solche Liste könnte bestimmte Güter nennen, die explizit von Sanktionen ausgenommen sind, und könnte darüber hinaus auch Zielgruppen oder Zielregionen nennen, die beliefert werden dürfen. Letzters könnte etwa der Bevölkerung in den Regionen außerhalb der Kontrolle Assad-Regimes zugute kommen.

Unter anderem SJAC fordert zudem, dass sogenannte Remittances erleichtert werden, d.h. Zahlungen von Exilsyrer*innen an ihre Angehörigen. Solche Zahlungen sind für viele Menschen in Syrien überlebenswichtig, können meist aber nur auf informellen und riskanten Wegen erfolgen (etwa über das Hawala System). Solche Transaktionen sind zwar offiziell nicht sanktioniert, werden von vielen Banken aber als riskant eingestuft und daher verweigert (Obvercompliance). SJAC ruft die sanktionierenden Staaten auf, Kanäle für Remittances zu schaffen, die Privatpersonen, aber auch kleineren NGOs zugute kommen sollen.

+ Vorschläge zur Verbesserung der Effektivität

Es liegen auch einige Empfehlungen vor, um die Effektivität der Sanktionen zu verbessern. 

Viele Analyst*innen der Sanktionsregime stellen etwa fest, dass es an Strategien fehle, seitens der Sanktionierten durch in Aussicht gestellte Lockerungen Verhaltensänderungen zu erreichen. So müssten sanktionierte Personen gezielte Anreize erhalten, bestimmte Handlungen zu unterlassen oder zu unternehmen. Karam Shaar nennt in diesem Zusammenhang etwa Anreize für Personen, sich als Whistleblower zu betätigen und Informationen weiterzugeben. Eventuell könnte auch dem Regime in Aussicht gestellt werden, dass bestimmte Sanktionen gemindert werden, wenn es zum Beispiel zumindest die politisch Gefangenen entließe und internationalen Beobachtern Zutritt zu Gefängnissen gewähren würde. Ob dem Assad-Regime das für solche Deals zumindest minimal erforderliche Vertrauen entgegengebracht werden sollte, ist in Hinsicht auf die Geschichte der letzten zehn Jahre allerdings fraglich.

Um die Effektivität der Sanktionen zu steigern müsste es nicht zuletzt erschwert werden, die Sanktionen zu umgehen. In den großen Leaks zu illegalen oder intransparenten Finanzgeschäften der letzten Jahre wurde immer wieder ersichtlich, dass Figuren aus Assads Entourage Sanktionen durch internationale Netze verschiedener Briefkastenfirmen umgehen können (siehe beispielsweise hier oder hier). Die generell mangelhafte Kontrolle internationaler Finanzgeschäfte kommt nicht nur Steuerbetrüger*innen entgegen, sondern eben auch sanktionierten Verbrechern. 

Die Effektivität der Sanktionen scheitert darüber hinaus an mangelnder Sorgfalt und mangelnden Ressourcen. Karam Shaars und Wael al-Alwanis Rechecherchen demonstrieren, dass die Sanktionlisten der EU und der USA in vielen Fällen willkürlich erscheinen oder intransparent bis willkürlich sind. Den für die Sanktionen zuständigen Behörden mangelt es offenbar an Personal und Expertise, die Sanktionslisten immer wieder zielgenau anzupassen, sodass sie weder Personen zu Unrecht sanktionieren noch Personen davonkommen lassen, die bei den in Syrien weiter andauernden Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine wichtige Rolle spielen.

Zusammenfassend ergibt sich der Eindruck, dass es in der EU und in den USA offenbar am politischen Willen fehlt, den selbstformulierten Anspruch der  “smarten Sanktionen” tatsächlich zu erfüllen. Die für die Sanktionen zuständigen Behörden müssten dringend mehr Kapazitäten erhalten, um sicherstellen zu können, dass humanitäre Hilfe nicht nur theoretisch möglich ist, sondern tatsächlich auch nicht durch die Sanktionen behindert wird. 

Zudem bräuchte es offenbar auch mehr Ressourcen, damit die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglichst zielgenau und effektiv sanktioniert werden – auch wenn das eine aufwendige laufende Kontrolle ihrer Geschäftstätigkeiten und ihrer Netzwerke erfordert. Denn theoretisch sind listenbasierte Sanktionen sektoralen oder anderen pauschalen Sanktionen klar vorzuziehen – letztere haben mit Sicherheit die schwersten Nebenwirkungen für die syrische Zivilbevölkerung.

Solange die EU und die USA ihre diesbezüglichen Bemühungen nicht verstärken, droht, dass ihre Sanktionen ein Zeichen ihrer Hilflosigkeit bleiben oder gar ein Feigenblatt für ihr mangelndes Engagement zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung.

+ Quellen und weiterführende Links:

Sam Heller: Lights on in Lebanon: Limiting the Fallout from U.S. Sanctions on Syria (10/2021)

Qussai Jukhadar & Elizabeth Tsurkov: Caesar Act: The Syrian people are sapped while Assad grows stronger (9/2021)

Cater Center: Navigating Humanitarian Exceptions to Sanctions Against Syria – Challenges and Recommendations (10/2021)

Wael al-Alwani and Karam Shaar: A Comprehensive Review of the Effectiveness of US and EU Sanctions on Syria (8/2021)

The New Humanitarian: Syria’s ‘bread crisis’ in graphs (7/2021)

Peter Metzger: The US sanctions regimen against the Assad regime is working. Here’s how (5/2021) 

Jens-Martin Rode: Worum es bei den Syrien-Sanktionen geht (3/2021)

Interview mit Rim Turkmani: 10 Jahre Sanktionen gegen Syrien: „Es profitieren Kriminelle und Assad-Getreue“ (3/2021)

Human Rights Watch: Syria: Bread Crisis Exposes Government Failure (3/2021)

Zaki Mehchy and Rim Turkmani: Understanding the Impact of Sanctions on the Political Dynamics in Syria (1/ 2021)

Joseph Daher / Impact:  Unsichtbare Sanktionen: Wie übererfüllte Compliance die humanitäre Hilfe in Syrien einschränkt (2020)

The New Humanitarian: Inflation, shortages worsen Syrian poverty on eve of new US sanctions (9/2020)

Sam Heller: What are americas sanctions on syria good for? (9/2020)

Zaki Mehchy: Punishing the Regime, Protecting Syrians: The Dilemma of Sanctions on Syria (9/2020)

Salam Said: Covid-19 and the Syrian economy (7/2020)

Constantin Lager: Sanktionen gegen Assad, aber wie? (7/2020)

SJAC: Sanctions, the Caesar Act, and COVID-19 in Syria (6/2020)

Jihad Yazigi: Crisis, the Caesar Act and Now the Coronavirus (3/2020)

Aron Lund: Briefing: Just how ‘smart’ are sanctions on Syria? (4/2019)

Omar Dahi: Syria: donor conditionality, sanctions, and the question of justice (3/2019)