Als der Himmel zur Hölle wurde – 10 Jahre Giftgasangriff auf Ghouta

Es ist ein düsterer Gedenktag. Heute jährt sich zum zehnten Mal der Giftgasangriff auf Ghouta. Für die Überlebenden gibt es bis heute keine Gerechtigkeit, denn der Verantwortliche, Diktator Bashar al-Assad, ungestraft.

Bis zu 1.400 Menschen starben, als die syrische Armee am 21. August 2013 die südlich von Damaskus gelegene Region Ghouta mit dem Nervengas Sarin angriff. Sarin zählt zu den giftigsten Kampfstoffen, die je hergestellt wurden. Schon kleinste Mengen können beim Einatmen innerhalb weniger Minuten zum Tod führen. Sarin wirkt aber nicht nur über die Atemwege, sondern auch über den Kontakt mit der Haut oder den Augen. Mund und Nase zu bedecken, reicht als Schutz deshalb nicht aus. Und weil Sarin farb-, geruch- und geschmacklos ist, wissen Opfer nicht, ob sie damit in Berührung kommen. Die Folgen sind verheerend: Atemlähmung, Herzstillstand und Tod. Wer überlebt, kämpft oft mit gesundheitlichen Langzeitfolgen, wie Blindheit oder irreversible Schäden an der Lunge.

Die Überlebenden aus Ghouta lassen die grausamen Bilder nicht los: Familien, die wie schlafend tot in ihren Häusern oder auf der Straße lagen. Die Szenen in den Krankenhäusern, in denen Ärzte*innen und Ersthelfende um das Leben der vielen Menschen kämpften, die das Nervengas schwer vergiftet hatte.

Aber auch die Tatenlosigkeit der Internationalen Gemeinschaft lässt die Menschen bis heute verzweifeln. Einzige Konsequenz: Assad musste seine chemischen Waffen abgeben und nicht einmal das geschah vollumfänglich. Die Täterschaft des Assad-Regimes ist bei weiteren, darauf folgenden Giftgasangriffen zweifelsfrei belegt. Wirklich Rechenschaft für das Massaker mussten die Verantwortlichen bis heute nicht ablegen. Russland blockierte damals im Sicherheitsrat eine Untersuchung des Giftgasangriffs. Das bedeutet für die Überlebenden: Es gibt keine Sicherheit, dass sich solch eine brutale Tat nicht wiederholen kann. Hier teilen sie ihre Erinnerungen (die Darstellung von Gewalt könnte auf einige eine triggernde Wirkung haben):

„Nach den Angriffen trug ein Sanitäter ein kleines Kind, das an Giftgas erstickt war. Dabei weinte und schrie er unaufhörlich: „Was hat dieses Kind getan? Sieht so ein Terrorist aus?“ Diese Szene hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. In diesem Krieg kommt der Tod auf verschiedenen Wegen, aber der Mörder ist immer derselbe: Bashar al-Assad!“

Qusay al-Ahmad, Journalist

„Das Massaker von Ghouta war ein endloser Albtraum, in dem Leben zu Asche, Blumen zu Blut und der Himmel zur Hölle wurden. Der Einsatz chemischer Waffen in Syrien ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Verstoß gegen das Völkerrecht und gegen die Moral. Trotzdem wurde der Verantwortliche bis heute nicht belangt. Wie lange müssen wir noch warten?“

Alaa Aliwi, Menschenrechtsaktivist

„Ich werde die Bilder der Toten nicht los, unter denen ich nach meinem Freund suchte. Die namenlosen, in Leichentücher gehüllten Kinder, Frauen, Männer – jung und alt, als wäre der Tag des Jüngsten Gerichts gekommen.“

Osama Al-Zubaybi

„Ich werde ihre Schreie, ihr Röcheln nach Luft niemals vergessen. Und ich werde den Vater niemals vergessen, der mir sagte, ich solle seinen Kindern helfen und ihn sterben lassen. Nichts kann diese Erinnerungen aus meinem Gedächtnis löschen.“

Maysa Muhammad, Sanitäterin

„Ich kämpfte, wie viele andere, in der Eingangshalle des Krankenhauses liegend um mein Leben und versuchte zu begreifen, was passiert war. Ich habe überlebt, aber eigentlich liege ich auch heute noch dort in dieser Halle. Es lässt mich nicht los.“

Bilal Al-Kharbutli, Überlebender

„Bis heute verblasst das Bild nicht aus meiner Erinnerung: die sterbende Mutter, die ihr Kind umarmt und es ansieht. Sie hofft darauf, ihm einen letzten Atemzug zu schenken, um seine unschuldige Seele zu retten, die das tödliche Gas aufgesaugt hat. Doch sie vermag es nicht.“

Mohammed Bader Eid, Journalist

„Am Ende des ersten Tages dachten wir, dass die Welt jetzt eingreifen und Assad zur Rechenschaft ziehen würde. Wir glaubten, dass die  verstreuten Leichen und der Geruch des Todes, der Ost-Ghouta erfüllte, das Ende der Verbrechen sein müsste. Doch wir lagen falsch. Es hat uns die Augen geöffnet für die harte Realität. Die gesamte Welt arbeitet stillschweigend mit Assad zusammen, indem sie nicht interveniert. Wir Überlebenden sollen im Stillen sterben und diesen Tag vergessen. Doch wir halten standhaft an unserem Versprechen fest, das wir den Opfern gegeben haben. Wir werden die Welt mit unseren Stimmen durchdringen und alle über das Geschehene informieren.“

Bayan Rayhan, Aktivistin