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IS und zurück: So sieht die Hilfe für Rückkehrerinnen aus

Raqqa war einst die Hochburg des sogenannten Islamischen Staats. Als sie 2017 fiel wurden viele Anhänger mitsamt ihrer Familien festgenommen und in Internierungslager gesteckt. Wir haben mit einem Sozialarbeiter gesprochen, der Rückkehrerinnen deradikalisiert.

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Ihr kümmert euch um die Reintegration ehemaliger IS-Anhänger*innen in die syrische Gesellschaft. Wie groß ist die Herausforderung?

Vor allem in Konfliktgebieten wie Raqqa oder Deir ez-Zor ist die Herausforderung sehr groß. Dort leben die Menschen immer noch in großer Angst vor dem IS. Sie sehen, wie IS-Zellen erstarken und wieder mehr Anschläge verüben. Die Region ist extrem instabil. Unser Ansatz muss deshalb auf mehreren Ebenen wirken. Wir kümmern uns nicht nur um Rückkehrer*innen, sondern auch um die Gesellschaft, die sie aufnimmt.

Wer kehrt denn aus den Internierungslagern wie dem berüchtigten al-Hol-Camp zurück?

Wir arbeiten hauptsächlich mit Frauen, darunter Witwen und Ex-Ehefrauen von IS-Anhängern. In letzter Zeit sehen wir eine Zunahme von Frauen, die aus Lagern wie al-Hol zurückkehren. Um das Camp verlassen zu dürfen, muss jemand für sie bürgen. Nicht alle haben Probleme, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Andere wiederum brauchen viel Unterstützung.

Gibt es auch Männer, die die Lager verlassen können? Wer sind sie?

Wer an den IS denkt, hat meistens das Bild von Kämpfern vor Augen. Die meisten Männer, die das Lager verlassen, waren aber nicht mehr als Angestellte. Viele vergessen, dass der Islamische Staat Institutionen aufgebaut oder weitergeführt hat. In Raqqa sind die Mitarbeiter jeden Tag zu ihrer Arbeitsstelle im Wasserwerk, in der Finanzbehörde oder in der Verkehrspolizei gegangen. Über die letzten Jahre wurde eine große Zahl von ihnen freigelassen. Doch auch bei ihnen muss man sichergehen, dass die Ideologie des IS nicht mehr wirkt.

Wie du bereits erwähnt hast, kümmert ihr euch hauptsächlich um die Wiedereingliederung von Frauen in die Gesellschaft. Wie können wir uns eure Arbeit vorstellen? Wie stellt ihr den Kontakt zu den Betroffenen her? 

Wir selbst bekommen keine Namen von oder andere Informationen über Rückkehrerinnen. Deshalb beginnen wir unsere Arbeit meist damit, eine Nachbarschaft zu definieren, in der wir viele Betroffene vermuten. Sobald wir grünes Licht von den Behörden haben, heißt es dort Klinkenputzen. Wir gehen von Tür zu Tür, sprechen mit Nachbar*innen oder Gemeindemitgliedern, die uns Hinweise zu möglichen Rückkehrerinnen geben. Natürlich können auch äußere Merkmale wie Kleidung und Sprache darauf hinweisen, ob jemand im al-Hol-Camp gelebt hat. Mit den Betroffenen selbst führen wir dann Gespräche und bauen langsam Vertrauen auf. Viele empfinden Reue oder sehen die Zeit unter dem IS als einen Lebensabschnitt, den sie hinter sich lassen wollen. Wir bieten ihnen dann Unterstützung an, um zum Beispiel mit Verlust umzugehen, familiäre Konflikte zu lösen und ein neues Leben zu beginnen.

Das klingt so, als wären die Betroffenen immer kooperativ. Ist das so?

Um ehrlich zu sein, die Zusammenarbeit mit den Betroffenen ist sehr kompliziert. Einige zeigen Kooperationsbereitschaft, während andere uns gegenüber skeptisch oder sogar ängstlich eingestellt sind. Sie lehnen jede Art von Hilfe ab. Unsere Aufmerksamkeit liegt auf der Gruppe, die ihr normales Leben wieder aufnehmen will. Das sind auch Frauen, die keinen Einblick in die Aktivitäten ihrer Ehemänner und keine Kontrolle über deren Entscheidungen hatten. 

Werden denn diese Frauen gut von der Gesellschaft aufgenommen?

Sie werden eher stigmatisiert, statt unterstützt.  Viele der ehemaligen IS-Frauen stammen nicht ursprünglich aus Raqqa oder der näheren Umgebung. Obwohl die anfängliche Ablehnung zwischen der Gastgesellschaft und der vertriebenen Gemeinschaft abgenommen hat, bleiben die Aussteigerinnen dennoch isoliert. Ängste und Vorurteile sind sehr präsent, deshalb kommt es auch immer wieder zu Anfeindungen.

Deradikalisierung in der ehemaligen IS-Hochburg ist kein ungefährliches Unterfangen. Macht ihr euch Sorgen um eure Sicherheit?

Obwohl ich selbst bisher keine direkten Probleme hatte, bin ich mir bewusst, dass es Risiken gibt. Ich wähle meine Worte mit Bedacht, da ich weiß, dass meine Äußerungen negative Auswirkungen haben könnten. Die Sicherheit meines Teams und meine eigene haben oberste Priorität. Wir versuchen, direkte Konflikte zu vermeiden und eine Sicherheitszone um uns herum zu schaffen.

Gibt es Lichtblicke oder Erfolge, die euch weiter motivieren?

Wir haben einen Jugendbeirat ins Leben gerufen, der aus Männern und Frauen besteht, darunter ehemalige IS-Anhänger, vormals Inhaftierte und Personen, die früher beim IS beschäftigt waren. Wir haben auch Frauen aus dem al-Hol-Lager und Vertriebene aus der Region einbezogen, um eine möglichst vielfältige Gruppe zu erreichen. Hauptziel des Rats ist es, die Wiedereingliederung der Aussteiger*innen und eine positive Veränderung in der Gemeinschaft zu unterstützen. Mit dem Jugendbeirat organisieren wir Schulungen zu Themen wie Friedensaufbau und Geschlechtergerechtigkeit. Im Rat haben wir Bedürfnisse der Bewohner*innen in verschiedenen Vierteln ermittelt und konkrete Maßnahmen für die Gemeinschaft formuliert, an denen wir jetzt arbeiten und von denen hoffentlich alle Beteiligten profitieren werden.

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* Dieses Interview haben wir zum Schutz der Beteiligten anonymisiert.