Wagner zwischen Damaskus und Kyjev – 4 Gründe, warum Putin auf informelle Akteure setzt

Wer ist die “Gruppe Wagner”? Wer ist die Privatarmee, die auf der ganzen Welt in Kriegsverbrechen involviert ist und warum wird sie eingesetzt? Und welche Rolle spielen informelle Akteure in Konflikten wie in der Ukraine oder Syrien?

In diesen Tagen mehren sich Berichte über massive Verbrechen an der Zivilbevölkerung in Mali – ausgeführt durch die sogenannte “Gruppe Wagner”. In der Provinzstadt Segou soll eine Einheit von malischen Soldaten, in Kooperation mit einer Gruppe von überwiegend blond und blauäugigen Söldnern, Dörfer überfallen und Zivilisten exekutiert haben, meldete der französische TV-Sender rfi. In einem ganz anderen Kontext berichteten mehrere Nachrichtenagenturen Ende März über den Einsatz der “Gruppe Wagner” in der Ukraine. Es hieß, sie sei eingesetzt worden, um den ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu töten. Aber wer ist diese Privatarmee, die auf der ganzen Welt in Kriegsverbrechen involviert ist und warum wird sie eingesetzt? Und welche Rolle spielen informelle Akteure, wie die Wagner Miliz in Konflikten wie in der Ukraine oder Syrien?

“Gruppe Wagner” von Syrien bis Bamako

Bei der Wagner-Gruppe handelt es sich um eine private Miliz, die von einem der engsten Verbündeten Putins finanziert wird – Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin, auch Putins Koch genannt. Die Wagner-Gruppe besteht aus Söldnern, die im Auftrag Putins in verschiedenen Konflikten eingesetzt wurden und werden. Schon der erste Einsatz der Gruppe Wagner wurde 2015 aus der Ukraine berichtet, wo sich die Söldner auf Seiten der ostukrainischen Separatisten am Krieg beteiligten. Aber auch in Libyen, der Zentralafrikanischen Republik, Kongo und Mali war und ist die Gruppe-Wagner im Einsatz- und in Syrien. Dort erlitt die Gruppe 2018 in einer Schlacht mit der US-Armee mit rund 300 Toten wohl den größten Verlust an Kämpfern bislang.

In der Regel erkämpfen sie die ersten Positionen, erst dann kommt die syrische Armee.

Blogger Ruslan Lewijew

In Syrien wurde die Zahl der ständigen Kämpfer der Einheit auf zwischen 500 und 1000 Kämpfer geschätzt. Die Einheit wurde vor allem in besonders schwierigen Einsätzen eingesetzt, “zum Beispiel bei der Befreiung von Palmyra. In der Regel erkämpfen sie die ersten Positionen, erst dann kommt die syrische Armee,“ erklärt der Blogger Ruslan Lewijew. Er arbeitet für das Conflict Intelligence Team, ein internationales Recherchenetzwerk, das Informationen zum russischen Militäreinsatz in Syrien sammelt, aktuell auch zur russischen Invasion der Ukraine. 

Die Truppe setzt sich vor allem aus ehemaligen Militärs zusammen, die eine Nähe zur faschistischen Ideologie aufweisen sollen. Einige Führer der Truppe posieren mit SS-Runen und anderen Nazi-Symbole. Der Name soll von Richard Wagner abgeleitet sein, weil der Hitlers Lieblingskomponist war und Dimitry Utkin, der Gründer der Söldnertruppe, wiederum Hitlers “Reich” verehrt. Die Gruppe gilt als Privatarmee Putins und ist auf die “schmutzigen Jobs” der Kriegseinsätze spezialisiert. 

Die Gruppe Wagner ist zwar die bekannteste Söldnertruppe in aktuellen Konflikten, aber keineswegs die einzige. Kämpfer, die in lang anhaltenden Kriegen eingesetzt waren und keine Zukunftsperspektive besitzen, werden immer wieder für die nächsten Konflikte angeworben. Syrische Söldner haben bereits im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien gekämpft und auf beiden Seiten des Kriegs in Libyen. Angeworben wurden die Syrer aus verschiedenen Regionen in Syrien, von unterschiedlichen Konfliktparteien. 

Neben der Gruppe Wagner werden durch Russland aktuell auch wieder syrische Kämpfer angeworben, um in der Ukraine zu kämpfen. Nach Angaben des Kremls sollen 16.000 Personen aus Syrien und den Nachbarstaaten rekrutiert worden sein, um an der Seite Russlands in den Krieg zu ziehen. In den Medien zirkulieren Berichte, wonach syrische Kämpfer aus Libyen in die Ukraine umgeleitet werden könnten. Dem Assad-Regime dürfte dies zupass kommen. Zum einen kann es so seine Dankbarkeit gegenüber der russischen Armee zeigen, die das Regime mit ihrem Militäreinsatz seit Herbst 2015 vor dem Zusammenbruch bewahrt hat. Zum anderen bekommen die Söldner für ihren Einsatz 1.200 Dollar im Monat – und sind so eine wichtige Einnahmequelle für Devisen.

Nach Angaben des Kremls sollen 16.000 Personen aus Syrien und den Nachbarstaaten rekrutiert worden sein, um an der Seite Russlands in den Krieg zu ziehen.

Welche Funktion erfüllen informelle Akteure in kriegerischen Konflikten? 

Ob Söldner, Milizen, Death Squads oder Paramilitärs, regimetreue informelle Akteure waren in 80 Prozent aller Konflikte seit 1980 involviert. 

1. Söldner senken die Kosten des Krieges

Wenn in einem Krieg nicht die eigenen Soldaten sterben, sondern ausländische Söldner, dann bleibt die Zustimmung zum Krieg hoch. Von den Kriegen, in die Russland seit 1990 involviert war, sind der russischen Bevölkerung besonders die beiden Tschetschenienkriege im Gedächtnis geblieben. Denn auch wenn von den bis zu 200.000 Todesopfern die große Mehrzahl Tschetschen*innen waren, sind Schätzungen zufolge bis zu 15.000 russische Soldaten ums Leben gekommen. Entsprechend unpopulär waren die Kriege.

Der Einsatz von ausländischen Söldnertruppen verringert deshalb die Kosten für ein Regime: Je höher die menschlichen Verluste, desto geringer die Zustimmung im Land. Aus diesem Grund setzte die russische Armee in Syrien zum größten Teil nur die Luftwaffe ein – und verzeichnet offiziell “nur” 135 getötete Russen. Zugleich sollen alleine in einer Schlacht im Osten Syriens im Jahr 2018 über 200 russische Söldner der Gruppe Wagner getötet worden sein (wobei andere Quellen von deutlich geringeren Zahlen ausgehen). In der russischen Öffentlichkeit wurde der Krieg in Syrien jedenfalls nie größer hinterfragt.

Aber auch die finanziellen Kosten lassen sich durch den Einsatz von Söldnern senken. So sind die Gehälter von Kämpfern insbesondere dann niedriger, wenn sie aus ärmeren Ländern stammen. Dass ausländische Kämpfer eine entscheidende Wirkung auf dem Schlachtfeld erzielen, bezweifeln Militärexperten dagegen.

2. Informelle Akteure sind oftmals brutaler

Anders als reguläre Streitkräfte unterliegen informelle Akteure keinen internationalen Konventionen – und sind deswegen oft brutaler. Ihr persönliches Interesse ist, dass der Krieg anhält oder das Regime, für das sie im Einsatz sind, diesen gewinnt. Oft sind sie aus prekären Verhältnissen angeworben und verfügen in ihren Herkunftsländern kaum über Perspektiven. Das steigert die Loyalität ihren Auftraggebern gegenüber – sodass sie auch die “schmutzigen Jobs” übernehmen und daher als skrupelloser gelten.

Im Syrien-Krieg rekrutierten iranische Milizen beispielsweise afghanische Söldner, vor allem aus den Armenvierteln um Teheran. Die Logik dahinter: Ausländische Kämpfer haben oftmals weniger oder gar keinen Bezug zum Kriegseinsatz – und kämpfen auch für weniger Geld. Die afghanischen Söldner kämpften seit Ende 2013 in Syrien in der sogenannten Fatemiyoun-Brigade mit bis zu 10.000 Mann Stärke. Bis heute sollen in Syrien über 20.000 Afghanen im Einsatz gewesen sein.

3. “Dirty Jobs” werden seltener von regulären Streitkräften ausgeführt

Selbst im Zweiten Weltkrieg war es Soldaten der Wehrmacht freigestellt, ob sie sich an “Spezialeinsätzen” wie Massakern beteiligten. Die Logik dahinter: Die Moral der Truppe hochhalten. Besonders schwierige oder “dreckige” Einsätze an informelle Akteure auszulagern, entlastet somit die regulären Streitkräfte, gerade was die Kampfmoral angeht. Wenn etwa die regulären Truppen sich weigern, einen Auftrag auszuführen – so wie zehntausende syrische Soldaten, die nach 2011 desertierten, um nicht auf die eigene Bevölkerung schießen zu müssen -, dann setzen die Machthaber eben auf irreguläre Einheiten wie Milizen.

Weil sie dann diese “schmutzigen Aufgaben” übernehmen, haben Söldner oft auch einen besonders abschreckenden Ruf. Syrer haben in den letzten Jahren viel Erfahrung im blutigen Häuserkampf gesammelt. Nun plant das russische Militär wohl, sie genau für diesen Zweck in der Ukraine einzusetzen. 

4. Verantwortungsdiffusion

Alle Staaten basieren auf einer Form von Legitimität. Demokratische Staaten basieren auf einer demokratischen Legitimität, aber auch autoritäre Staaten müssen auf die ein oder andere Weise durch die Bevölkerung legitimiert sein. Besonders brutale, grausame oder kostspielige Einsätze greifen auch die Legitimität von autoritäre Staaten an. Deshalb werden informelle Akteure für die “Dirty Jobs” verwendet, also Einsätze, für die Kriegsparteien nicht verantwortlich gemacht werden wollen. Im Gegensatz zu Einsätzen von offiziellen Staatsorganen, wie Polizei oder Militär, ist es einfacher Verantwortung für Taten von informellen Akteuren abzustreiten, da die Involvierung einer Regierung sehr viel schwerer nachweisbar ist.