Das medizinische Personal in Idlibs Krankenhäusern appeliert an die internationalen Geldgeber*innen die finanzielle Unterstützung aufrechtzuerhalten.

“Wo sollen unsere Kranken hin?”

Im Nordwesten Syriens kam es aufgrund massiver Kürzungen von internationalen Geldern zur Schließung von mindestens 18 Krankenhäusern. Beobachter befürchten katastrophale Konsequenzen für Millionen von Syrer*innen in der Region.

Das medizinische Personal in Idlibs Krankenhäusern appeliert an die internationalen Geldgeber*innen die finanzielle Unterstützung aufrechtzuerhalten.

Seit Beginn der militärischen Auseinandersetzungen in Syrien zählt die systematische Zerstörung von medizinischer Infrastruktur zur Kriegsstrategie des Regimes. Laut Recherchen der Physicians for Human Rights (PHR) gab es seit 2011 allein in Idlib 602 bestätigte Angriffe auf mindestens 350 Orte medizinischer Infrastruktur. Die strategische Zerstörung lebensnotwendiger Infrastruktur wurde, und wird immer noch, als Druckmittel eingesetzt, um Regionen außerhalb der Kontrolle des Regimes zur Aufgabe oder zur Flucht zu zwingen. 

Aktuell erhält das Assad-Regime in dieser Strategie unerwartete Unterstützung durch das Desinteresse der Internationalen Staatengemeinschaft. Nach zehn Jahren Krieg ist die Lage in Syrien für viele Geldgeber*innen keine Priorität mehr, was fatale Folgen für die medizinische Versorgung hunderttausender Menschen in Syrien hat – trotz der Pandemie. 

“Wir sind in einer de facto Belagerung und jetzt wurde die Finanzierung von 18 Krankenhäusern eingestellt. Wo sollen die Kranken hingehen?”
– Salem Abdane, Chef der Gesundheitsbehörde in Idlib

Im Nordwesten Syriens sind fast 500 medizinische Institutionen von internationalen Geldzuwendungen abhängig. Besonders dramatisch ist die Entwicklung seit Ende letzten Jahres, als die Finanzierung für 18 Krankenhäuser im nordwesten Syriens eingestellt wurde. “Wir sind in einer de facto Belagerung und jetzt wurde die Finanzierung von 18 Krankenhäusern eingestellt. Wo sollen die Kranken hingehen?” fragt Doktor Salem Abdane, der Chef der Gesundheitsbehörde in Idlib.

Abdane erklärt den Rückgang der internationalen Hilfen mit der Corona-Pandemie, aber auch mit der Ermüdung vieler Geldgeber*innen nach zehn Jahren Krieg. Die sich ständig verschlechternde wirtschaftliche Lage in Syrien und der Türkei hat ebenfalls große Auswirkungen auf die medizinische Versorgung in der Region. “Auch die Medikamentenpreise sind gestiegen. Ihr müsst verstehen, dass die Menschen hier sich eine Behandlung nicht leisten können. Wenn es keine kostenlose medizinische Infrastruktur gibt, dann gibt es keine Alternative, dann wird man nicht behandelt!” betont Doktor Abdane.

Circa 50.000 Menschen von den Kürzungen betroffen

Medizinische Hilfe wird in Nordwest Syrien vor allem in Form humanitärer Projekte geleistet, deren Finanzierung befristet ist und alle zwei Jahre verlängert werden muss. Warum genau die aktuellen Verträge nicht verlängert wurden, ist unklar. Schätzungen gehen davon aus, dass  die Kürzungen circa 50.000 Menschen pro Monat betreffen werden. Dabei arbeiteten schon davor viele Angestellte des medizinischen Sektors ohne Geld und mit minimalen Ressourcen. “Wir sind bereit, diese Dienste unentgeltlich anzubieten”, kommentiert Droktor Muhammad Obeid die Lage aus einem Krankenhaus in Al-Dakhiliya, “aber die fehlenden Medikamente und all die anderen Versorgungsengpässe sind für mich und all die anderen medizinischen Angestellten sehr belastend”.  

Huda Khayti, die Leiterin des Women Support and Empowerment Center Idlib, verweist insbesonders auf die sich immer weiter zuspitzende Situation für Frauen und Kinder, da von den Schließungen vor allem die Kliniken betroffen sind, die auf Frauen und Kinder spezialisiert waren. “Schon vorher konnten etwa Geburtsbetreuung gar nicht richtig gewährleistet werden, weshalb viele Frauen in Idlib ihre Kinder gezwungenermaßen per Kaiserschnitt zur Welt bringen,” berichtet Huda Khayti. Diese Situation würde sich nun weiter zuspitzen, befürchtet sie und auch für die Binnenflüchtlinge sei der Zusammenbruch der mediznischen Infrastruktur “fatal”.

Abschottung und Covid-19 Pandemie belasten die Gesundheitsversorgung

Die jahrelange Abschottung des syrischen Nordwestens hat in Kombination mit der Covid-19 Pandemie die Gesundheitsversorgung in der Region an den Rand des völligen Zusammenbruchs gebracht. Werden die Hilfsgelder der internationalen Geldgeber*innen weiter zurückgefahren, wird die ohnehin schon katastrophale Situation immer bedrohlicher. “Wenn der medizinische Sektor eingestellt wird, dann wird es mehr Krankheiten geben, dann wird es mehr Epidemien geben, mehr Gewalt. Alles wird mehr werden”, warnt Doktor Abdane. 

Die Internationale Staatengemeinschaft muss sich ihrer Verantwortung bewusst werden und handeln! 


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