Warum kämpfst du für die Rechte der Frauen? Was motiviert dich und welche Bedeutung hat diese Arbeit für dich?
Safa: Als Mutter und Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft muss ich einfach für Frauenrechte kämpfen. Hier wird’s persönlich: Meine drei Söhne haben ihre Väter, meine zwei Ehemänner, im Krieg verloren. Damit sie zu starken und respektvollen Männern heranwachsen, muss ich ihnen ein Vorbild sein. Das geht nur, wenn ich eine selbstbestimmte Frau bin. Wir Frauen bilden doch die Hälfte der Gesellschaft. Also ist klar: Unsere Stärkung ist der Schlüssel zu einem gerechteren und freieren Leben – für alle! Ich möchte vor allem die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen fördern, indem ich ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt ermögliche.
Raya: Mich inspiriert der globale Kampf für Gleichstellung und gibt mir das Gefühl, Teil einer größeren Bewegung zu sein. Es ist pures Empowerment zu wissen, dass jetzt in diesem Moment Frauen weltweit für ihre Rechte eintreten. Sie stärken mein Vertrauen in die Menschlichkeit. Sie motivieren mich, weiterzumachen – egal, wie viele Steine uns in den Weg gelegt werden.
Huda: Frauen gehören zu den am stärksten marginalisierten Gruppen und der Krieg in Syrien hat ihre Situation noch verschlimmert. Soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung ist in Krisengebieten kaum Thema. Deshalb engagiere ich mich dafür, Frauen zu unterstützen und ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
Wie kämpfst du für die Rechte der Frauen? Was sind deine Erfolge?
Raya: Ich zeige jeden Tag, dass Frauen in Syrien in Führungspositionen gehören. Als Geschäftsführerin einer Bürgerinitiative und Leiterin des politischen Büros der Jugendbewegung in Suweida setze ich mich mit ganzer Kraft für die Gleichberechtigung ein. Mein Weg dahin war aber alles andere als einfach. Ich musste gegen verbale, sogar psychische Gewalt wie Mobbing kämpfen. Für andere Frauen will ich gleichzeitig Rückgrat und Vorbild sein, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Safa: Frauen müssen ihre Rechte kennen. Bei einer Umfrage mit mehr als 150 Arbeiterinnen in Afrin stellten wir fest, dass kaum eine über Themen wie Elternschaftsurlaub, Vertragsabschlüsse oder Arbeitsrechts im Allgemeinen informiert war. Das war schockierend. Deshalb haben wir begonnen, auf unternehmerischer und politischer Ebene aufzuklären. Ein Jahr später kannten deutlich mehr Frauen ihre Rechte und forderten sie auch ein. Das war ein großer Erfolg!
Huda: Seit 2013 leite ich ein Frauenzentrum, das Frauen durch Bildung, Beratung und psychosoziale Unterstützung stärkt. Wir helfen Frauen auch in juristischen Angelegenheiten. Es macht mich so glücklich zu sehen, wie Frauen ihre Ausbildung abschließen, eigene Unternehmen gründen und ihre Rechte vor Gericht verteidigen.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Frauen dort noch?
Safa: Viele Frauen sind heute Alleinversorgerinnen. Was das in einer Krisenregion bedeutet, können sich die wenigsten vorstellen. Jede Person, die schon einmal ein Familienmitglied gepflegt hat, kann vielleicht erahnen, was das bedeutet. Ich weiß es. Das Assad-Regime folterte meinen ersten Ehemann zu Tode. Mein zweiter Mann starb durch einen Bombenangriff. Meine Familie und ich wurden nach Nordsyrien vertrieben. Wie so viele Frauen trage ich seitdem nicht nur die Verantwortung für meine Kinder und mich, sondern auch für meine Mutter. Das ist eine extreme Belastung für den Körper und die Psyche. Aber irgendwie müssen wir Frauen funktionieren.
Gewalt und Diskriminierung sind weit verbreitet und es mangelt an Schutzräumen für Frauen. Die wirtschaftliche Notlage verschärft die Situation für sie. Viele junge Mädchen werden aus der Schule genommen und früh verheiratet. Es ist ein Dilemma und wir müssen noch viel mehr tun, um jungen Frauen Chancen auf Bildung und Selbstbestimmung zu geben.
Huda
Und wie geht es Frauen in Flüchtlingslagern?
Huda: Die Situation in den Lagern ist für Frauen katastrophal. Sie leben in ständiger Angst vor Übergriffen, auch sexualisierter Gewalt. Mit einem Messer lassen sich die dünnen Stoffzelte leicht aufschneiden. Es gibt keinen sicheren Ort für sie …
Raya: … und kein Gesetz, das sie schützt. Frauen in Vertriebenenlagern leben in einem extrem feindlichen Umfeld. Ihre körperliche und mentale Gesundheit leidet und wird ehrlich gesagt völlig ignoriert. Wenn sie Arbeit finden, müssen sie meist unter harten und menschenverachtenden Bedingungen schuften.
Safa: Der Verlust ihres sozialen Umfelds und das Leben in einer Gastgemeinschaft mit kulturell neuen Normen führt oft zu Unsicherheit und Angst. Viele Frauen ziehen sich deshalb zurück und leben abgeschottet. Das ist kein Leben.
Und dann kam die nächste Katastrophe in der Katastrophe – die schweren Erdbeben im Februar 2023. Was hatten sie für Auswirkungen auf die Situation der Frauen?
Huda: Es mag bizarr klingen, aber mittlerweile haben sich viele hier an die ständigen Bombardierungen gewöhnt. Sie sind zu einem Stück Normalität geworden. Die Erdbeben haben uns im wahrsten Sinne des Wortes erschüttert. So etwas kannten wir nicht. Wegen der Zerstörung mussten Menschen, die vertrieben wurden, wieder fliehen. Darunter viele Familien. Das bedeutet, dass vertriebene Frauen, die sich über Jahre unter körperlicher und mentaler Anstrengung in ein fremdes Umfeld integriert hatten, wieder an einem anderen Ort neu anfangen mussten. Nach den Erdbeben wurden Camps schnell irgendwo aufgebaut. Sie sind weit weg von wichtigen Infrastrukturen wie medizinischen Einrichtungen und Schulen. Frauen leben extrem isoliert, was sich äußerst negativ auf sie auswirkt.
Was erschwert eure Arbeit? Seid ihr Repressionen ausgesetzt?
Safa: In Syrien werden Frauen in Führungsposition von allen Seiten attackiert. Ich persönlich habe schon verschiedene Arten von Gewalt erfahren müssen, darunter auch Rufschädigung und Einschüchterung. Wer uns Frauen in unserer Arbeit behindern will, greift uns meist privat an. Der Widerstand gegen Frauen in Führungspositionen oder gegen Frauen, die andere Frauen empowern, ist groß und besteht auf allen Ebenen. Wir sind nie sicher.
Huda: Jede Instanz, die ein Problem mit Frauenarbeit hat, kann uns gefährlich werden. Es sind all jene, die Angst davor haben, dass Frauen eine größere Rolle in der Gesellschaft spielen. Sie fürchten ihre Stimme und ihre Kraft. Wer uns Steine in den Weg legt, kann uns natürlich schaden. Auf der anderen Seite macht uns aber jede Form des Widerstands gegen unsere Arbeit stärker. Denn immer mehr Frauen zeigen sich solidarisch und unterstützen unser Anliegen.
Trotz all dieser großen Herausforderungen für Frauen in Syrien – gibt es etwas, das euch optimistisch stimmt? Gibt es etwas, was die Situation von Frauen in Syrien verbessern könnte und zu wenig Aufmerksamkeit bekommt?
Raya: Trotz aller Herausforderungen bin ich optimistisch. Unser feministischer Kampf hat bereits viel erreicht, und ich glaube, dass wir Gleichheit und Gerechtigkeit erreichen werden. Ja, die Gesellschaft entwickelt sich nur langsam, aber der Wandel findet immer statt.
Safa: Die wirtschaftliche Stärkung von Frauen ist der Schlüssel zu ihrer Zukunft. Wir müssen ihnen Zugang zu Bildung und Berufsmöglichkeiten bieten, damit sie sich selbst und ihre Familien ernähren können. Egal ob Landwirtschaft, Medien oder Informatik – Frauen gehören in alle Branchen. Damit wir sie überall ausbilden können, arbeiten wir zum Beispiel an Onlinekursen. Der Bedarf ist immens.
Ich bin optimistisch, dass wir große Veränderungen herbeiführen werden. Wir Frauen haben durch den Krieg viel Leid erfahren. Ich musste damals aus Ost-Ghouta fliehen, allein mit drei kleinen Kindern und hatte alles verloren. Heute bin ich Leiterin von mehreren Schulen und einer Hilfsorganisation. Ich sage immer: Wenn es noch Hoffnung gibt, reicht das aus, um weiterzumachen. Ich spüre, dass in uns Frauen etwas erwacht, das stärker ist als der Krieg.
Safa
Huda: Seit dem Beginn der Revolution vor dreizehn Jahren bin ich optimistisch. Unser Zentrum hat viele Frauen dabei unterstützt, Herausforderungen zu überwinden und starke, erfolgreiche Akteurinnen zu werden. Ich will aber dahin kommen, keine Frau mehr leiden sehen zu müssen. Und damit meine ich auch mich. Ich träume davon, meine Familie wiederzusehen und, dass wir die schmerzhafte Zeit, die so viele syrische Familien erlebt haben, hinter uns lassen können. Dafür muss das Assad-Regime für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Das Bomben, Morden und Verschleppen muss endlich enden.