Phosphorbombe geht auf die Stadt Darat-Izza im Umland von Aleppo nieder

Eskalation in NWS: Mit aller Waffengewalt gegen Zivilist*innen

Ermutigt durch Straflosigkeit und internationales Schweigen intensivieren das Assad-Regime und sein Verbündeter Russland ihre Bombardierungen auf Nordwestsyrien. Dabei setzen sie auch international geächtete weiße Phosphorbomben auf zivile Ziele ein. Viele versuchen sich in Sicherheit zu bringen – darunter auch einige unserer Partner*innen. Die Frage ist nur: wohin fliehen?

Phosphorbombe geht auf die Stadt Darat-Izza im Umland von Aleppo nieder

Update: Am Abend des 8. Oktober wurde das Women Support & Empowertment Center von einer Rakete getroffen.


Bombardierungen auf den Nordwesten Syriens durch das Regime und Russland sind nicht neu. Sie haben nie aufgehört und zielten immer besonders auf medizinische Einrichtungen und zivile Ziele ab. Jetzt haben die Angriffe eine neue Intensität erreicht: Seit drei Tagen werden flächendeckend die Städte und ihr Umland in Idlib, als auch das Umland von Aleppo angegriffen. Gezielt werden Wohnviertel, Krankenhäuser, Märkte, die Blutbank in Idlib-Stadt und Hauptstraßen in Schutt und Asche gelegt. Durch heftigen Raketen- und Artilleriebeschuss geriet zudem ein Flüchtlingslager in Brand. Selbst nachts gibt es keine Feuerpause.

Dabei zum Einsatz kommen auch Brandbomben und Streumunition, die international geächtet sind. Es sollen offensichtlich so viele Menschen wie möglich getötet werden. Und der Plan geht auf: Die Zahl der Todesopfer und Verwundeten steigt stetig. Wer kann, versucht zu fliehen.

Unsere Partnerin Huda vom Women Support & Empowerment Center in Idlib-Stadt musste das Zentrum schließen und versucht sich in Sicherheit zu bringen:

„Die Situation ist schrecklich. Sie erinnert mich an die furchtbaren Nächte in Ost-Ghouta*. Das Regime und Russland greifen Idlib seit mehreren Tagen ohne Pause an. Dafür setzen sie alle Waffen ein, die sie haben: Granaten, Bomben, Phosphor. Die Straßen sind wie ausgestorben, alles ist geschlossen, niemand ist auf der Straße. Wer kann, verlässt die Stadt Richtung Norden. Ausgerechnet dorthin, wo die Erdbeben besonders viel Schaden angerichtet haben und bereits viele in Zelten leben müssen und die Versorgung nicht gewährleistet ist. Aber wo sollten wir sonst hin? Dort haben wir die Hoffnung, in Sicherheit zu sein. Auch ich werde versuchen mich weiter nördlich in Sicherheit zu bringen, das Zentrum ist vorläufig geschlossen. Aber letztendlich wissen wir alle, dass es hier keinen echten sicheren Ort gibt.“

Auch unsere Partner*innen von Sawaedna haben das Zentrum am Freitag schließen müssen. Denn auch Ariha steht unter Dauerbeschuss, die Situation ist sehr schlecht. Sie berichten von Angriffen auf Flüchtlingscamps und auf Orte, die gemäß eines Abkommens gar nicht bombardiert werden dürften, darunter beispielsweise die Stadt Al-Dana. Viele fliehen von dort Richtung Afrin und Azaz. Auch das Team von Sawaedna versucht derzeit aus Ariha rauszukommen und sich in Sicherheit zu bringen.

Unsere Partnerinnen von Change Makers, die schon vor den Erdbeben Nothilfe in den Camps der Binnenvertriebenen leisteten, berichten uns von aus den südlicheren Gebieten bei ihnen ankommenden Flüchtenden. Sie übernehmen derzeit die Erstversorgung der Menschen, stehen aber auch vor gewaltigen Herausforderungen:

„Wir wissen nicht wohin mit den Menschen, es gibt keine Kapazitäten mehr. Die Lager sind schon überfüllt mit Binnenvertriebenen und Opfern der Erdbeben. Die Menschen hausen auf der Straße und in Feldern.“

Souad, Change Makers

Ein Ausweg ist nicht in Sicht, denn die Grenze zur Türkei ist zu.

Das Motiv: Rache

Als Grund für die Eskalation dürfte ein Anschlag auf eine Militärakademie in Homs sein. Am vergangenen Donnerstag waren am Ende einer Abschlussfeier Sprengsätze explodiert, die mindestens 89 Menschenleben forderten. Obwohl sich die dschihadistische Miliz Hai’at Tahrir al-Sham (HTS), unter deren Kontrolle Idlib steht, nicht zu dem Anschlag bekannte, gilt sie als hauptverdächtig. Das Regime hatte Vergeltung angekündigt und wenig später ihr Bombardierungen auf den Nordwesten Syriens intensiviert. Ob eine Bodenoffensive folgt, ist derzeit noch nicht absehbar. Unsere Partner*innen berichten aber, dass es derzeit sehr viel militärische Bewegungen in Syrien gibt und beobachten auch das mit großer Angst. Sicher ist schon jetzt: Es sind die unschuldigen Zivilist*innen, die hier mit ihrem Leben büßen.

Mit einer Spende für die Change Makers können sie unsere Partner*innen vor Ort helfen Nothilfe zu leisten:


 * Nach fünf Jahren Belagerung bombardierten das Regime und seine russischen Verbündeten Ost-Ghouta Anfang 2018 gnadenlos und setzte dabei auch Chlorgas ein, um Menschen aus den Luftschutzkellern zu treiben. Huda leitete vor Ort ein Frauenzentrum, das gleich zu Beginn der Offensive von einer Bombe getroffen wurde. Vier Frauen starben, darunter die Lehrerin Wahida. Im Zuge der Eroberung wurden Tausende Menschen aus Ost-Ghouta nach Idlib vertrieben. Darunter auch Huda, die hier ihr Frauenzentrum wieder neu aufbaute.