1. Sanktionen erlauben humanitäre Hilfen
Die westlichen Wirtschaftssanktionen richten sich gegen das Assad-Regime, nicht gegen die syrische Bevölkerung. Der Import von Hilfsgütern im Rahmen von humanitärer Hilfe ist explizit erlaubt, wie beispielsweise Medizin oder Nahrungsmittel.
Schon allein dieser Fakt sollte reichen, um die Argumentation nichtig zu machen, dass man Sanktionen aufheben müsse um humanitäre Hilfen leisten zu können. Doch auch die detailliertere Betrachtung gibt viel Aufschluss:
Bereits seit 2014 wird humanitäre UN-Hilfe auch in den Regime-Gebieten geleistet – Syrien ist sogar das weltweit größte Empfängerland. Leider kommt von den Hilfen jedoch nur wenig bei den Menschen an, die es am meisten brauchen.
2020 hat sich das Regime die Hälfte der UN-Hilfsgelder in die eigene Tasche gesteckt. 60 Millionen Dollar wurden so der leidenden Bevölkerung im Regime-Gebiet vorenthalten. Die Menschen in oppositionellen Gebieten sehen von den humanitären Hilfen, die via Damaskus laufen, sowieso keinen Cent.
Es liegt also auf der Hand: Nicht die Sanktionen, sondern das Regime verschärft die humanitäre Katastrophe. Die Sanktionen aufzuheben wäre ein fatales Signal zur Normalisierung des Assad-Regimes. Sie müssen aufrecht erhalten werden.
2. Assad setzt humanitäre Hilfe als Waffe ein
Vom Erdbeben am stärksten betroffen ist der Nordwesten Syriens. Allein in der Region Idlib leben ca. vier Millionen Menschen, davon sind knapp die Hälfte Binnenvertriebene, die vor dem Assad-Regime hierhin geflohen sind.
▾ Kontext: über 10 Jahre Krieg in Syrien
Seit dem Start der Revolution 2011 hat das Assad-Regime auf brutale Weise die Kontrolle über den Großteil Syriens zurück erlangt. Es setzte Giftgas gegen die eigene Bevölkerung ein, bombardierte gezielt Krankenhäuser und zivile Infrastruktur. Das Blatt wendete sich spätestens durch den Eintritt Russlands, das die rebellischen Gebiete u.a. mit besonders zerstörerischen Fassbomben zermürbte.
Millionen von Menschen sind geflohen. Viele ins Ausland, viele aber auch innerhalb Syriens. Das wichtigste Auffangbecken für die Binnenvertriebenen war die Region Idlib im Nordwesten. Auch die meisten unserer Partner*innen hat es im Laufe der Jahre genau dort hin verschlagen.
Die Versorgung der Menschen in Idlib ist jedes Jahr aufs Neue ein großes Politikum. Um zu Überleben sind sie sind zu großen Teilen auf humanitäre Hilfe angewiesen, die über die türkisch-syrische Grenze kommt.
In den letzten Jahren haben Russland und China mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat die meisten Grenzübergänge in den Norden Syriens für UN-Hilfe geschlossen. Seit 2020 ist der Nordosten gänzlich abgetrennt von Hilfe. Für den Nordwesten gibt es derzeit noch einen verbliebenen Übergang, über den Hilfsgüter aus der Türkei geliefert werden können.
Jedes Jahr aufs Neue geht das Verhandlungs-Geschachere im UN-Sicherheitsrat los. Russland möchte die einzig verblieben Lebensader für den Nordwesten dauerhaft schließen. Die humanitäre Hilfe müsste dann über Damaskus laufen – und käme niemals in Idlib an.
Assad versucht also durch seinen russischen Partner im Sicherheitsrat zu verhindern, dass humanitäre Hilfe in Idlib ankommt. So setzt er die Hilfen als Waffe ein.
3. Die UN kann auch ohne Resolution des Sicherheitsrats helfen
Doch – braucht es die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats überhaupt, um UN-Hilfen in den Nordwesten fließen zu lassen? Die Praxis besteht zwar, doch der ARCS kommt zum Schluss: cross border is legal! Auch ohne Mandat des Sicherheitsrats ist es legal, humanitäre Hilfe über die Grenze zu bringen.
Die UN muss jetzt alle Möglichkeiten nutzen, die sie hat. Menschen Hilfe zukommen zu lassen hat jetzt oberste Priorität!
4. Die Grenzübergänge sind der Knackpunkt
Nach wie vor kann nur ein Grenzübergang für die UN-Hilfe genutzt werden. Dieser fungiert wie ein Nadelöhr, nur langsam tröpfelt Hilfe ein. Die Bundesregierung und die UN haben bereits mehrfach an das Assad-Regime appelliert, die Zustimmung für die Nutzung der anderen Grenzübergänge zu erteilen. Bislang ohne Erfolg.
Assad und seine Verbündeten tun schon seit Jahren alles erdenkliche, damit eben keine Hilfe zu den Menschen nach Idlib kommt. Er ist maßgeblich für die dramatische humanitäre Lage vor Ort verantwortlich – schon vor den Erdbeben. Und auch jetzt noch bombardieren Assads Truppen Idlib, anstatt der Nutzung aller Grenzübergänge in die Region für humanitäre Hilfe zuzustimmen, damit diese schneller ihr Ziel erreicht und den Menschen hilft.
5. Selbstorganisierte, nicht-staatliche Hilfe ist derzeit am schnellsten!
Eins ist klar: Es braucht jetzt dringend ein Großaufgebot an humanitärer Hilfe. Die UN lässt auf sich warten, die Menschen im Norden Syriens haben aber keine Zeit zu verlieren. Ihre Leben sind akut gefährdet, die Menschen sind aber auf sich allein gestellt.
Was die UN gerade nicht schafft, übernimmt die Zivilgesellschaft, beispielsweise unsere langjährigen Partner*innen vor Ort. Sie besorgen im großen Umfang Lebensmittel, Trinkwasser, Babynahrung, Medikamente und medizinische Produkte sowie Hygieneartikel oder Decken, helfen bei der Bergung von Menschen und organisieren sichere, warme Unterkünfte.
Als deutsch-syrische Solidaritätsinitiative arbeiten wir seit über 10 Jahren mit Menschen vor Ort, die sich für Menschen- und Frauenrechte, für Toleranz und eine Demokratisierung der Gesellschaft einsetzen. In Katastrophenfällen wie Bombardierungen, dem Ausbruch der Corona-Pandemie und auch jetzt nach dem Erdbeben leisten sie Nothilfe und wissen als Betroffene selbst am besten, was gebraucht wird.
Unsere Partner*innen wollen Nothilfe leisten.
Dafür brauchen sie Ihre Unterstützung!