Rück- und Ausblick 2022/23

Roter Teppich für Diktator Assad, statt (ausreichend) Hilfe für die Bevölkerung – Gerechtigkeit für die syrischen Menschen sieht anders aus. Aber: Im Kontext der Erdbebenkatastrophe wurde auch sichtbar, welchen Wert und Wirkungsmacht zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Syrien haben. Das ist uns ein Ansporn.

Inhalt:

Editorial
Halt in der Katastrophe: Die syrische Zivilgesellschaft
Unterstützte Projekte sowie akute Erdbeben-Projekte
Adopt a Revolution in Zahlen
Adopt a Revolution in Aktion
Ausblick


EDITORIAL

Majority World CIC / Alamy Stock Photo

Inmitten der Trümmerpolitik

Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei im Mai dieses Jahres warfen schon 2022 ihre Schatten weit voraus – zumindest für alle Syrer*innen. Denn Präsident Erdoğan lenkte von den innenpolitischen Problemen wie der Inflation und der desaströsen wirtschaftlichen Lage in seinem Land ab, indem er seinen dritten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Nordosten Syriens startete. Damit präsentierte er sich zum einen als Macher und Verteidiger einer (fiktiven) Bedrohung, zum anderen zwang er durch anhaltende Angriffe, die hiesige Bevölkerung in die Flucht, um in die dann verlassenen Gebiete syrische Geflüchtete abschieben zu können. Durch die Destabilisierung der Region hat Erdoğan damit auch dem Wiedererstarken des IS Vorschub geleistet, der dort zunehmend wieder aktiver wird.

Gleichzeitig wurden die seit Jahren geführten Hetzkampagnen gegen in der Türkei lebende Syrer*innen massiv befeuert. Nicht nur von Erdoğan, sondern auch von der Opposition, die nicht nur ein bis zwei Millionen Menschen, sondern gleich alle Syrer*innen binnen zwei Jahren abschieben wollte, sofern sie an die Macht käme. Der Populismus auf Kosten der syrischen Geflüchteten nahm zuletzt im Wahlkampf absurde Züge an, als Präsidentschaftskandidat und Oppositionsführer Kılıçdaroğlu von einer sofortigen Abschiebung von zehn Millionen Geflüchteten fantasierte, die es zahlenmäßig in der Türkei gar nicht gibt. Den Preis der massiven politischen Stimmungsmache zahlen die Syrer*innen. Knapp 90 Prozent der türkischen Bevölkerung wollen, dass diese das Land verlassen und machen daraus keinen Hehl mehr: Rassismus, Hass und Übergriffe gehören mittlerweile zum Alltag der Schutzsuchenden.

(K)EINE WAHL

Das zeigte sich nicht erst, aber besonders deutlich nach den verheerenden Erdbeben im Februar. Denn auf Hilfe vom türkischen Staat brauchen die syrischen Staatsangehörigen bis heute nicht hoffen. Viele wurden von den Notunterkünften ausgeschlossen und von einer direkten Versorgung abgeschnitten. Wer doch einen Platz ergattern konnte, war und ist in den Unterkünften Rassismus und Angriffen ausgesetzt. Aufgrund der akuten Wohnungsnot sind die Mieten jetzt doppelt so teuer wie noch vor den Erdbeben. Syrer*innen haben auf dem verknappten Wohnungsmarkt häufig keine Chance, weil Türk*innen bevorzugt werden. Falls es doch ein Angebot gibt, müssen sie das Vierfache bezahlen. Für die meisten ist das unmöglich. Wer vor Ort kein Netzwerk hat, das weiterhilft, ist der (staatlichen) Diskriminierung schutzlos ausgeliefert.

Der Ausgang der Wahl war entsprechend für viele Syrer*innen im Norden Syriens, als auch in der Türkei selbst, mit existentiellen Fragen verknüpft und wurde im Vorfeld kontrovers diskutiert. Während Partner*innen aus dem Nordosten klar sagten, dass nichts schlimmer sei als Erdoğan, glaubten jene aus dem Nordwesten, dass er als „das bekannte Übel“ immer noch die größere Sicherheitsgarantie sei – auch für die Millionen syrischen Geflüchteten in der Türkei. In einem Punkt waren sich jedoch alle einig: Es war eine Wahl zwischen Pest und Cholera, keine Seite würde sich für sie einsetzen. Was der Ausgang der Wahl jetzt für die Syrer*innen wirklich bedeutet, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Fest steht schon jetzt: Sie werden sich wie immer selbst helfen müssen. Fest steht aber auch: Wir sind dabei an ihrer Seite!


ZIVILGESELLSCHAFT

Halt in der Katastrophe

Die syrische Zivilgesellschaft

Nach zwölf Jahren Krieg fragen Sie sich vielleicht, was Zivilgesellschaft in Syrien denn eigentlich (noch) erreichen kann. Wir wissen: Eine ganze Menge! Gerade auch im Kontext der Erdbebenkatastrophe wurde sichtbar, welchen Wert und Wirkungsmacht zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Syrien haben. In ihren Zentren und Initiativen leisten unsere Partner*innen das ganze Jahr über unermüdlich wichtige Empowerment-, Aufklärungs- und (politische) Bildungsarbeit für die Menschen vor Ort, insbesondere auch für marginalisierte Gruppen wie Frauen, Jugendliche und Kinder. Sie fördern aktiv den Zusammenhalt der Gesellschaft und treten ein für Grundrechte.

Direkt nach den Erdbeben sind sie nochmals über sich hinausgewachsen. Mit anderen lokalen Organisationen waren sie die ersten, die – obwohl selbst betroffen – Hilfe für diejenigen leisteten, die in den Beben alles verloren haben. Internationale Akteure hingegen ließen knapp eine Woche auf die ersten Hilfslieferungen warten. Weil auch bis heute von außen kaum Hilfe ankommt, setzen unsere Partner*innen diese wichtige Arbeit fort. Ihre Wirkungsräume mögen klein erscheinen, im Nachgang der Erdbeben zeigt sich aber, welche Wirkungsmacht sie entfalten können. Um für die Zukunft Hoffnung zu haben, brauchen Akteur*innen wie sie weiter Unterstützung, sie die einzigen sind, die handlungsfähig sind, wie die Erdbeben gezeigt haben.


PROJEKTE

2022 von uns unterstützte Projekte
sowie akute Erdbebenprojekte 2023

WOMEN SUPPORT & EMPOWERMENT CENTER IDLIB

Idlib-Stadt & Außenstelle im Al-Kana’es Camp in Rif-Idlib

Eine Mitarbeiterin von Frauenzentrum Idlib gibt Aufklärungskurs im Camp

‘Frauen für Frauen‘ ist das Motto unserer Partnerinnen vom Frauenzentrum Idlib. Von Bildungsangeboten über rechtliche Beratung oder gesundheitliche Aufklärung unterstützen die Aktivistinnen seit Jahren Frauen, Kinder, Ältere, Menschen mit Behinderungen und Binnenvertriebene. Immer wieder leisteten sie in der Vergangenheit auch Nothilfe in den zahlreichen Camps in Idlib.

Ein Teil des Verteilteams vom Frauenzentrum

Sie kennen die Region, aber auch die Community der Binnenvertriebenen gut und verfügen über ein Netzwerk, auf das sie nach den Erdbeben zurückgreifen und schnell handeln konnten. Neben der Verteilung von Hygieneprodukten und Lebensmitteln helfen sie nun Frauen und Kindern in einem Camp dabei ihre traumatischen Erlebnisse im Zuge der Erdbeben zu verarbeiten. Außerdem kooperiert das Frauenzentrum mit Krankenhäusern in Idlib, um Krebspatient*innen eine Behandlung zu ermöglichen, denen nach den Erdbeben die Möglichkeit, ihre teilweise lebensnotwendige Therapie in der Türkei fortzuführen, von türkischen Behörden verwehrt wurden.

ZIVILES ZENTRUM SAWAEDNA

Ariha

Nach ihrer Näh- und Handarbeitsausbildung bei Sawaedna haben sich diese vier Frauen zusammen selbstständig gemach

Im zivilen Zentrum Sawaedna finden Frauen Schutz, Beratung und Empowerment. Durch Aufklärung schaffen die Aktivist*innen bei den Frauen ein Bewusstsein für ihre politischen, sozialen und körperlichen Selbstbestimmungsrechte und stärken ihre Entscheidungsbefugnis im privaten und gesellschaftlichen Bereich. Darüber hinaus helfen sie aber auch ganz praktisch: Sie bieten Ausbildungen an für Frauen jeden Alters und ermöglichen ihnen damit eine Arbeit zu finden, finanziell unabhängig zu werden und aus ihren vorgeschriebenen Rollen auszubrechen.

(Über-)Lebenspakete stehen bereit zur Verteilung

Seit den Erdbeben leistet das Team von Sawaedna Nothilfe im Umland von Azaz und Afrin. Von Beginn an organisierten und verteilten sie große Mengen an Hilfsgüter an die Bedürftigen, darunter beispielsweise Decken und Brennstoffe, damit die plötzlich obdachlos gewordenen Menschen nicht erfrieren. Seit die Temperatur milder geworden ist, konzentriert sich das Team auf die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Hygieneartikel – denn Katastrophen solchen Ausmaßes sind Nährboden für Krankheiten und Epidemien. Dem wollen sie aktiv entgegenwirken.

HOOZ-ZENTRUM

al-Bab & Azaz

Sie trotzen der Vertreibung und den Repressalien türkisch finanzierter Milizen: Die aus unterschiedlichen Landesteilen nach Nordsyrien vertriebenen Aktivist*innen vom Hooz-Zentrum organisieren Räume, in denen es in Nordwestsyrien einen freien Austausch zu gesellschaftlichen Themen geben kann.

Säckeweise Grundnahrungsmittel wurden LKW-weise in die Nachbarstädte geliefert

Nach den Erdbeben haben sie sofort mit Nothilfe begonnen und zwar nicht nur in Azaz und al-Bab, sondern auch in der benachbarten Stadt Jenderis, weil diese am schlimmsten betroffen und kaum zugänglich war. Dort konzentrierten sie ihre Unterstützung auf besonders marginalisierte Gruppen, wie die kurdischen Bewohner*innen der Stadt. Sie organisieren Medikamente und leisten medizinische Einzelfallhilfe. Gegen die entstehenden neuen Zeltstädte arbeiten sie derzeit an, indem sie tatkräftig beim Wiederaufbau helfen.

CHANGE-MAKERS

Salqin

In Kafranbel engagierten sich die Aktivistinnen gegen Diskriminierung von und Gewalt gegen Frauen. Seit ihrer Vertreibung durch das Assad-Regime 2019 machen sie damit in Salqin weiter. In der 80.000 Einwohnerstadt leben überwiegend Binnenvertriebene, deren Situation sehr prekär ist. Deshalb leisten die Change Makers seit Jahren immer wieder Nothilfe, beispielsweise während der Corona-Pandemie, und bringen Vertriebene in den Flüchtlingslagern mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt. 

Von Zelt zu Zelt bringen die Change Makers die benötigten Lebens- und Hygienemittel.
Die Aktivistinnen haben Mahlzeiten für täglich Hunderte Menschen während Ramadan zubereitet.

Weil das Team der Change Makers ein rein weibliches ist, können sie leichter das Vertrauen von vom Erdbeben betroffenen Frauen gewinnen und ihre spezifischen Bedarfe abfragen. Denn oft sind es Hygiene-Artikel, die ihnen fehlen und die nicht zum Inhalt der Hilfs-Pakete anderer Hilfsorganisationen zählen. Seit Anfang Februar leisten sie diese feministische Nothilfe in den Not-Camps und bieten den Frauen auch psychosozialen Support an.

Im Fastenmonat Ramadan haben sie ein weiteres Projekt gestemmt: Im „Ramadan-Kitchen“ kochten sie für Hunderte Menschen in den neu entstandenen Zelt-Camps, damit die Familien, denen nichts geblieben ist, wenigstens ihren Fastenmonat begehen konnten und nach dem Fastenbrechen etwas zu Essen sicher hatten.

ZIVILES ZENTRUM ATAREB

al-Atareb

Zentrumsleiter M. Shakerdy packt medizinische Hilfsgüter und Kinderspielzeug zur Verteilung zusammen.
Zentrumsmitarbeiter sind bis spät in die Nacht im Einsatz.

Seit Jahren arbeiten die Aktivist*innen vom zivilen Zentrum Atareb für den Zusammenhalt der Gesellschaft und beugen mit ihrer Jugendarbeit so auch gezielt Extremismus und Gewalt vor. Ihr Ziel: eine pluralistische Gesellschaft, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit.

Direkt nach den Erdbeben sicherten die Aktivist*innen die Grundversorgung der Überlebenden, indem sie Trinkwasser, Lebensmittel, Decken, Matratzen, Windeln, Babynahrung und Hygieneartikel verteilten. Außerdem koordinierten sie mit Krankenpfleger*innen vor Ort medizinische Hilfe und organisierten Schmerzmittel, Medikamente und weiteres medizinisches Verbrauchsmaterial und -geräte sowie Not-Unterkünfte.

SAWISKA FRAUENZENTRUM

Auch öffentlich sichtbar treten die Aktivistinnen für Frauenrechte ein, hier bei einer Mahnwache.

Qamishli

Die Aktivistinnen von Sawiska kennen die Lebensrealitäten und spezifischen Herausforderungen von Frauen sehr gut. In Awareness-Sessions, an denen auch Männer teilnehmen dürfen und sollen, setzen sie sich mit Frauen- und Kinderrechten und Femiziden auseinander und leisten wichtige Aufklärungsarbeit im Kampf um die Verteidigung des Rechts auf Leben und Selbstbestimmung.

Wegen des türkischen Angriffskrieges schult PÊL so viele Menschen wie möglich in Erster und medizinischer Hilfe.

PÊL CIVIL WAVES ZENTRUM
Qamishli
, Hassaka, Tirbespi/al-Qahtaniyya, Raqqa

Ethnische und religiöse Unterschiede überwinden und Brücken schlagen für eine friedliche Gesellschaft der Vielen – das ist das Ziel der Aktivist*innen des PÊL-Zentrums. Seit Beginn des dritten türkischen Angriffskriegs gegen den Nordosten Syriens im vergangenen November ist es schwieriger die Gesellschaft zusammenzuhalten, aber auch wichtiger denn je. Deshalb machen sie konsequent weiter.

ZAITOUN-ZEITUNG

Saraqeb

Unabhängige Medien sind für Demokratisierung und friedliche Konfliktbewältigung wichtig, aber auch nicht immer ungefährlich. Die Medienschaffenden von Zaitoun beweisen viel Mut mir ihrer kritischen Berichterstattung über dschihadistische Milizen und andere bewaffnete Akteure in Idlib.

SYRIAN EYES

Libanon: Beirut, Bekaa, Tripoli

Als es noch ging, versorgten sie syrische Campbewohner*innen u. a. mit Brennholz für den Winter

Syrische Geflüchtete kämpfen im Libanon täglich um ihr Überleben. Unterstützung bekommen sie von den Aktivist*innen von Syrian Eyes, die in den Camps Nothilfe leisten und Lebensmittel, Medikamente oder im Winter Heizstoffe verteilen. Das wird immer schwieriger, denn der Zutritt zu den Camps wird NGOs mittlerweile untersagt. Deshalb verteilen sie jetzt heimlich Gutscheine außerhalb der Camps und finanzieren medizinische Behandlungen und Mieten für syrische Geflüchtete, die sich diese sonst nicht leisten könnten. 

Seit den Erdbeben organisieren sie zudem Nothilfe in Aleppo und bringen Hilfsgüter am korrupten Assad-Regime vorbei zu den vom Regime Diskriminierten, die sonst leer ausgehen.

DHOUAI AL HIMAM

Azaz und Umland

Eigentlich treiben die Aktivist*innen gemeinsam mit Verbündeten die gesellschaftliche, ökonomische und politische Inklusion von Menschen mit Behinderungen voran.

Im Kontext der Erdbeben konnten sich aber auch all jene auf Dhouai al Himam verlassen, die alles verloren hatten. Ob Lebensmittel, Medikamente, Decken, Zelte, Brennstoffe oder Matratzen, die Aktivist*innen organisierten und verteilten, was benötigt wurde.

YALLAH SHABAB

Jenderis und Umland

Die Stadt Jenderis wurde durch die Erdbeben massiv zerstört – viele Stadtteile waren lange kaum zugänglich, deshalb haben die Aktivisten von Yalla Shabab Versorgungsgüter mit Mopeds und streckenweise zu Fuß zu den Betroffenen gebracht, die anders keinerlei Hilfe bekommen konnten. Jetzt helfen sie tatkräftig bei der Instandsetzung von Häusern und planen psychosozialen Support.

KAY LA YUMHA AL-ATHAR

Afrin und Umland

Die Aktivistinnen setzen sich seit vielen Jahren für Frauenrechte ein. Im Nachgang des Erdbebens sind sie nun aktiv in einem Projekt, das psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung umfasst, um mentale Langzeitfolgen bei Betroffenen abzumildern.

SARD-NETWORK

syrienweit

Wer die Macht hat, hat die Deutungshoheit über die Geschichte, das gilt insbesondere in Kriegen und großen Konflikten. Es bleibt nichts übrig von den Träumen und Geschichten der Menschen, die durch den Krieg zerstört wurden. Und es bleiben oft auch keine Beweise übrig, dass es sie gab. Dagegen stemmen sich die Aktivist*innen von Sard und sammeln, veröffentlichen und bewahren Erinnerungen an die syrische Revolution von den „einfachen“ Menschen. Dank ihres großen Netzwerks können die Aktivist*innen Geschichten im ganzen Land sammeln – damit der Aufstand von 2011 und seine Geschichten Teil der Identität Syriens bleiben.

WELAT-MEDIEN

Qamishli

Unabhängige Medien mit einer kritischen Berichterstattung, die zugleich ihre eigene Rolle kritisch reflektieren, sind für friedliche Konfliktbewältigung und Demokratisierung von großer Bedeutung. Die Medienschaffenden von Welat betreiben ein Magazin – auf Kurdisch und Arabisch, um alle gleichermaßen anzusprechen.

HUMAN RIGHTS GUARDIANS

syrienweit

Die Verbrechen in Syrien sollen nicht ungesühnt bleiben. Dafür müssen sie aber zunächst dokumentiert werden. Die Aktivist*innen der Human Rights Guardians sammeln und archivieren deshalb akribisch Einzelfälle der über 100.000 in Haftzentren oder an Checkpoints verschwundenen Menschen. Die gesammelten Informationen geben sie an die zuständigen Stellen der UN weiter.

AMAL KINDERGARTEN & VORSCHULE

Im Keller können sie einfach mal Kind sein.

Maret Misrin

Kinder brauchen eine sichere Lernumgebung. Idlib steht aber unter Dauerbeschuss durch das syrische Regime. Deshalb haben die Aktivistinnen in Maret Misrin nahe Idlib-Stadt einen Kindergarten und eine Vorschule in einen Keller verlegt. In den unterirdischen Räumen sind die Kinder sicher vor Bomben und können sich so aufs Lernen konzentrieren.

FREIE UNIVERSITÄT ALEPPO

Azaz

Der Krieg in Syrien hat zu vielen abgebrochenen Ausbildungsbiographien geführt. Um den jungen Menschen trotzdem eine Chance auf eine Zukunft zu geben, gründeten oppositionelle Studierende und Mitarbeitende der Universität Aleppo 2015 die Freie Universität Aleppo. Als das Regime die Stadt 2016 zurückeroberte, zog sie nach Azaz um.

JUGEND- & KULTURZENTRUM

Irak: Bagdad

Im Irak werden Aktivist*innen, die Reformen anstreben, verfolgt, verhaftet und Opfer von politischen Morden. Im Jugend- und Kulturzentrum, dessen Ort geheim ist, haben sie einen sicheren Raum, um sich auszutauschen, zu vernetzen, weiterzubilden und politische Kampagnen zu planen.


ADOPT A REVOLUTION IN ZAHLEN

Adopt a Revolution in Zahlen

In den vergangenen 10 Jahren (2012-2022) hat Adopt a Revolution mithilfe von knapp 8.000 Spender*innen über 3 Millionen Euro nach Syrien gesendet und über 50 Partner*innen im ganzen Land unterstützt. Derzeit unterstützen wir 28 lokale Organisationen, zivile Zentren und Grassroots-Initiativen im Nordwesten und Nordosten Syriens, die meisten unserer aktuellen Partner*innen bereits seit mehr als fünf Jahren.

2022 haben wir rund 1.965 Zuwendungen erhalten. Darüber hinaus bekamen wir 2022 Fördergelder – in absteigender Reihenfolge – von Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, medico international, Heinrich-Böll-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Fonds Sauerteig, Brot für die Welt, Volkshilfe Österreich, campact e.V., Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., Stiftung Umverteilen, Institut für Auslandsbeziehungen, Bewegungsstiftung, Plan B e.V., Civilfleet-Support e.V., Amnesty International Deutschland.

Wir konnten so im vergangenen Jahr 15 zivile, lokale Partnerorganisationen und Initiativen – primär in Syrien, aber auch im Libanon und Irak – unterstützen.

Ohne unsere Spender*innen, Förder*innen und Unterstützer*innen könnten wir unsere Arbeit nicht machen. Daher gilt ihnen allen unser großer Dank.


ADOPT A REVOLUTION IN AKTION

In Säcken und Kartons werden die Hilfsmittel sortiert und verteilfertig an Bedürfte ausgeliefert.

„Dank unserer langjährigen Partnerschaft mit Adopt a Revolution konnten wir nachhaltige Strukturen aufbauen, auf die wir bei den Erdbeben zurückgreifen konnten. Nur deshalb konnten wir direkt mit unserer Hilfe loslegen. Außerdem gibt uns Adopt eine Flexibilität, die andere Organisationen in Krisensituationen häufig nicht haben. So konnten wir hier in Salqin und Umland direkt effektive und schnelle Hilfe für die am stärksten Betroffenen leisten. Dafür sind wir dem Adopt-Team und allen Spender*innen sehr dankbar.“ 

Souad, Change Makers

Wir sind eine deutsch-syrische Solidaritäts- & Menschenrechtsorganisation, die sich im Kontext des friedlichen Aufstands 2011 in Syrien und angesichts der zunehmenden brutalen Verfolgung der Protestierenden gegründet hat. In unserer Arbeit zählen für uns gelebte Solidarität, Empowerment und dass wir von der syrischen Zivilgesellschaft angestoßene, gesellschaftliche Veränderungen bzw. entsprechende Bestrebungen fördern, die auf Menschenrechten, Demokratie und Selbstbestimmung basieren. 

Wir arbeiten partnerschaftlich und solidarisch in mittel- und langfristigen Kooperationen. Eine langlebige, aber auch flexible Unterstützung unserer Partner*innen ist uns dabei besonders wichtig, denn nur so können diese nachhaltig arbeiten und Einfluss nehmen auf lokale gesellschaftspolitische Realitäten und Machtverhältnisse.

Die Unterstützung unserer Partner*innen in Syrien wird vor allem aus Spendeneinnahmen sowie zum kleineren Teil über Drittmittel finanziert. Der Vorteil: Die direkten Spenden garantieren eine stabile Finanzierung für unsere Partner*innen in Syrien, wodurch nachhaltige und langfristige Veränderung erzielt werden kann und unsere Partner*innen selbstbestimmt entscheiden, welche Projekte umgesetzt werden sollen.


Adopt a Revolution begleitet uns als solidarische Struktur seit vielen Jahren– viele Aktivist*innen kennen sie noch aus Ost-Ghouta, bevor wir dort vertreiben wurden. Wir wissen, dass wir auch in härtesten Zeiten immer auf Adopt zählen können, sei es bei Bombardierungen, Vertreibung oder wie jetzt beim Erdbeben. Deshalb sind wir sehr froh, dass auch unser neues Zentrum in Afrin nun unterstützt wird. Dabei geht es um viel mehr als finanziellen Support, sondern auch um den politischen Austausch und die Solidarität.

Amer, Anbar Zentrum Afrin

AUSBLICK

Foto: Kathy deWitt / Alamy Stock Photo

Mit voller Macht zurück …

… auf das internationale politische Parkett

Besser könnte es für Assad derzeit nicht laufen. Dank der verheerenden Erdbeben Anfang Februar haben die westlichen Staaten zwar keine Sanktionen gegen das Regime aufgehoben. Jedoch wurden einige Hürden abgebaut und mit Organisationen zusammengearbeitet, die unter seiner direkten Kontrolle stehen. Ein Gewinn für den eigentlich komplett isolierten und sanktionierten Machthaber. Im Mai folgte der nächste Schritt zu Assads Normalisierung: Die Arabische Liga nahm Syrien wieder in ihrer Mitte auf, aus der Assad 2011 im Zuge der gewaltsamen Protest-Niederschlagungen ausgeschlossen worden war. Bereits seit 2018 bröckelte diese Mauer der Ablehnung: vereinzelte Staaten eröffneten wieder ihre Botschaften in Damaskus. Unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe diente auch der Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 als Vorwand für einige Staaten, ihre Beziehungen zum Regime zu normalisieren. „Etwaige politische Differenzen müssen in den Hintergrund rücken“, argumentierte der Kronprinzen der Emirate. Jetzt, nach den verheerenden Erdbeben, wurden Nägel mit Köpfen gemacht und selbst die bis dahin skeptischen Mitglieder der Arabischen Liga empfingen den Diktator wieder mit offenen Armen.

Diese Entscheidung ist eine erbärmliche Lektion darüber, dass nationale Eigeninteressen und Geopolitik Menschenrechte übertrumpfen. Und es geht noch weiter: Der über Jahre international isolierte syrische Präsident hat bereits eine Einladung zur nächsten UN-Weltklimakonferenz, der COP28, in Dubai erhalten. Zwar nahm auch bei der letztjährigen Konferenz in Ägypten eine syrische Delegation teil, allerdings noch ohne den Diktator selbst. Das ist dieses Jahr anders – im November wird er auf Vertreter*innen von rund 200 Staaten treffen, darunter zahlreiche westliche Staats- und Regierungschefs. Im vergangenen Jahr waren darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron oder US-Präsident Joe Biden. Wie die westlichen Staaten, die nach wie vor an einer umfangreichen Sanktionierung und Isolierung des Assad-Regimes festhalten, damit vor Ort umgehen werden, bleibt abzuwarten. Sie täten gut daran keine weiteren Bilder zu produzieren, die einer Normalisierung Assads in die Hände spielen. Denn jede Nation, die Assad zur Normalisierung verhilft, macht sich mitschuldig an seinen anhaltenden Verbrechen.

Mit aller Kraft zurück …

… nach Syrien

2011 wollte die Arabische Liga einen Diktator wie Assad, der derart offen, brutal gegen sein eigenes Volk vorgeht, nicht in ihren Reihen dulden. 12 Jahre später sind für die Mitgliedsstaaten nun nicht mehr die Verbrechen Assads ein Problem, sondern die davor Geflohenen. Die Flüchtlingsfrage ist ein maßgeblicher Grund, warum nicht zuletzt Jordanien die Wiederaufnahme Assads in die Arabische Liga beantragt hatte. Denn die jordanische Regierung sucht nach einem Weg, die 1,3 Millionen hierher geflüchteten Syrer*innen wieder loszuwerden. Aber dafür braucht sie Assad. Der Libanon indes schafft bereits Fakten und führt seit April Massenabschiebungen unter Waffengewalt durch. Es ist nicht das erste Mal, dass Syrer*innen im Libanon einer solchen Deportationswelle ausgesetzt sind. Bereits 2019 und 2020 wurden laut libanesischer Sicherheitsbehörden 6.002 Syrer*innen abgeschoben. Seit April dieses Jahres wurden 1.500 syrische Geflüchtete festgenommen und mehr als 700 davon dem syrischen Regime übergeben.

Dabei ist bekannt, dass die betroffenen Personen bei ihrer Rückkehr verhaftet oder direkt an die Front geschickt werden. Folter ist bereits ab dem ersten Hafttag in Assads Gefängnissen üblich, viele der Zurückgekehrten verschwinden spurlos. Durch Assads Wiedereintritt in die Arabische Liga dürfte sich die Zahl an Abschiebungen aus dem Libanon nochmal deutlich erhöhen. Deshalb ist die UN jetzt dringend gefordert einen Schutzmechanismus für syrische Geflüchtete zu etablieren und die libanesische Regierung unter Druck zu setzen. Stattdessen verschärfte sie zuletzt das Problem, als sie vielen Syrer*innen rückwirkend ihre offizielle UN-Registrierung entzog – angeblich aus Finanzierungsproblemen. Die libanesische Regierung nutzt das als Freibrief die davon betroffenen Personen als erstes des Landes zu verweisen. Damit hat sich die UN in gewisser Weise zur Komplizin dieser menschenfeindlichen Politik gemacht. 

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