„Dieser Tod kommt schleichend“ – Appell aus den Flüchtlingslagern Nordsyriens

Angesichts der COVID-19-Pandemie wenden sich syrische Aktivist*innen mit einem Appell an die UN, die EU und ihre Mitgliedsstaaten: Die Bevölkerung Nordsyriens braucht dringend humanitäre und medizinische Hilfe sowie Schutz vor weiteren militärischen Eskalationen. Helfen Sie mit!

Mit ihrem Aufruf bitten Aktivist*innen der syrischen Zivilgesellschaft um Unterstützung im Kampf gegen das Corona-Virus. Adopt a Revolution stärkt zivile Partnerprojekte, die selbstorganisiert versuchen, die Folgen der Pandemie in den Flüchtlingslagern Nordsyriens abzumildern. Helfen Sie mit!


„Wir sind friedliche Aktivist*innen der syrischen Zivilgesellschaft. Seit Jahren setzen wir uns ein für Freiheit, Würde und Gerechtigkeit. Wir haben Bombardierungen, Folter und Belagerungen durch das Assad-Regime überlebt, haben miterlebt, wie russische Flugzeuge unsere Märkte und Krankenhäuser zerstörten. Viele von uns mussten fliehen, manche mehrmals, wir alle leben unter schwierigsten Bedingungen in Nordsyrien.

Wir alle versuchen den Zivilist*innen um uns herum so gut beizustehen, wie wir eben können. Wenn Granaten einschlagen, wissen wir, was zu tun ist. Wir wissen, wo wir uns in Sicherheit bringen, wenn Flugzeuge am Himmel sind. Aber was wir gegen das Corona-Virus machen können, wissen wir nicht. Dieser Tod kommt schleichend. Niemand wird hinsehen, aber er wird viele erwischen.

Millionen Menschen hier in Nordsyrien können froh sein, wenn sie eins der dicht gedrängten Zelte haben oder sich mit mehreren Familien ein Klassenzimmer teilen können. Es mangelt an Nahrungsmitteln, an sauberem Trinkwasser, an medizinischer Versorgung. Nach Jahren der Verfolgung sind viele Menschen hier mangelernährt und schwach, verletzt oder krank. Wenn in den Flüchtlingslagern Nordsyriens das Corona-Virus ausbricht, wird dieser Ausbruch weltweit zu den tödlichsten gehören.

Wir sehen, wie viele Menschen in euren Staaten an dem Virus sterben – und das bei einem gut entwickelten Gesundheitssystem. Wir sehen, wie notwendig Isolation, Hygiene und Intensivpflege im Kampf gegen Corona sind. Aber das alles haben wir nicht. Die meisten hier können nicht zu Hause zu bleiben, weil sie kein Zuhause haben. Viele leben von der Hand in den Mund – nicht zu arbeiten heißt für sie schlicht: zu verhungern. Wir brauchen dringend medizinische Hilfe, Beatmungsgeräte und Einweghandschuhe. Aber ebenso dringend brauchen wir humanitäre Hilfe, um die drohende Katastrophe abzumildern!

Was wir außerdem brauchen ist Sicherheit vor weiteren militärischen Eskalationen. Bisher war der Bruch einer Waffenruhe durch das Assad-Regime und seine Verbündeten immer nur eine Frage der Zeit. Auch die Türkei hat ihre Aggressionen gegen die Bevölkerung in Nordost-Syrien keinesfalls abgeschlossen. Ob in Idlib oder Nordost-Syrien – die nächsten Kriegsverbrechen werden kommen, wenn es keine international abgesicherte Waffenruhe gibt. Überlasst uns nicht den Diktatoren und Autokraten! Die Vereinten Nationen und die EU müssen jetzt eine Schutzzone in Nordsyrien durchsetzen!

Wir fordern die Vereinten Nationen und die EU-Staaten auf,

  • die medizinische und humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung Nordsyriens auszubauen und alle Grenzübergänge für UN-Hilfen zu nutzen!
  • zu verhindern, dass diese humanitäre Hilfe von Assads, Putins oder Erdogans Gnaden abhängt!
  • einen Waffenstillstand für ganz Syrien einzufordern und mit harten Sanktionen durchzusetzen!
  • eine entmilitarisierte Schutzzone in Nordsyrien einzurichten!
  • die Selbsthilfestrukturen der syrischen Zivilgesellschaft zu unterstützen!

Dammeh Frauenzentrum, Idlib
Für Frauen ist das Leben besonders schwierig – sie erleben oft Gewalt und Bedrängnis inner- und außerhalb ihrer Häuser. Im Dammeh Frauenzentrrum bieten die AktivistInnen des Zentrums psychosoziale Unterstützung an, helfen den Frauen dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Außerdem sensibilisieren sie für politische Themen und für Corona.

Human Rights Guardians, Syrien
Rund 100.000 Syrer*innen verschwanden in Haftzentren oder an Checkpoints. Die Organisation Human Rights Guardians dokumentiert akribisch Einzelfälle und setzt sich für die Aufklärung dieser Verbrechen ein.

Makers of Change, Kanfranbel (Idlib)
Bis zu ihrer Vertreibung war das Ziel der Aktivist*innen eine Gesellschaft mit gleichen Rechten für Männer und Frauen. Inzwischen selbst zu Flüchtlingen geworden, leisten sie in Selbstorganisation Corona-Hilfe in informellen Flüchtlingslagern.

PÊL Civil Waves Zentrum, Qamishli und Hassaka (Nordost-Syrien)
In Zeiten größter gesellschaftlicher Polarisierung bauen die Aktivist*innen des PÊL Zentrums in Nordost-Syrien Brücken zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen der vielfältigen Region. Seit der Gründung im Herbst 2013 hat das Kernteam aus vier Aktivist*innen und einem Kreis von dutzenden Freiwilligen einen Ort des Dialogs geschaffen.

Sard Network, Syrien
Die Deutungshoheit über die Revolution wollen die Aktivist*innen vom Sard Netzwerk nicht dem Assad-Regime überlassen. Deshalb lassen sie Menschen ihre Geschichte der Revolution auf einem Blog erzählen. Damit wollen die Aktivist*innen ein „syrisches Gedächtnis“ aufbauen und bewahren.

Welat Medien, Quamishli (Nordost-Syrien)

Sie begannen als kleines kurdisches Magazin, dann kam eine erfolgreiche Radiostation hinzu. Nun arbeiten die Journalist*innen an einer Infosendung zu Corona und klären mit Postern und Flyern über Corona, seine Symptome und Schutzmöglichkeiten auf. Außerdem haben sie eine ärztliche Beratungshotline für die Zivilgesellschaft eingerichtet.

Women Support and Empowerment Center, Idlib
Die Aktivistinnen des Frauenzentrums fördern eigentlich die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Frauen in Idlib und helfen ihnen mit Rechtsberatung ihre Rechte trotz Dominanz islamistischer Milizen einzufordern. Derzeit steht auch Gesundheitsaufklärung auf dem Programm und das Verteilen von Hygiene- und Desinfektionsmitteln an Bedürftige.

Zeitung Zaitoun, Idlib
2013 gründeten junge Menschen in Saraqib eine Wochenzeitung für Politik und Kultur. Das Leitmotiv der Redaktion: Ohne freie und transparente Medien keine freie, plurale und zivile Gesellschaft.

Ziviles Zentrum, Atareb (Idlib)
Seit Jahren zeigen die Aktivist*innen des Zivilen Zentrums jungen Menschen Alternativen zu Extremismus und Gewalt auf. Aufgrund der Assad-Offensive mussten sie im vergangenen Monat fliehen. Nun sind sie zurück, haben das Zentrum wieder hergerichtet und arbeiten an Konzepten, wie sie die Zivilgesellschaft in der Corona-Krise unterstützen können.


Adopt a Revolution unterstützt den Appell aus der syrischen Zivilgesellschaft und unterstützt die Selbstorganisation der Aktivist*innen im Kampf gegen das Corona-Virus. Helfen Sie mit!