Hintergrund zur Fallrecherche »erzwungene Passbeschaffung in der syrischen Botschaft«
Adopt a Revolution unterstützt seit 2012 gewaltfreie emanzipatorische Projekte in Syrien und in der syrischen Diaspora. Im Rahmen unserer Arbeit wurden wir wiederholt mit der Problematik konfrontiert, dass nach Deutschland geflohene Syrer*innen von den deutschen Behörden aufgefordert werden, einen Pass bei der syrischen Botschaft zu beantragen. Oft trifft dies Geflüchtete, für die dies aus nachvollziehbaren Gründen unzumutbar ist. Dies wird von den Behörden aber nur selten anerkannt.
Um die rechtliche Beratung der Betroffenen zu verbessern und politisch auf eine Veränderung der bisherigen Behördenpraxis zu drängen, sucht Adopt a Revolution nach entsprechenden Fällen für Musterklagen sowie für die politische Öffentlichkeitsarbeit.
Mit Hilfe einer Sammlung sowohl negativ oder positiv beschiedener oder noch unabgeschlossener Fälle wollen wir in Zusammenarbeit mit Rechtsberater*innen perspektivisch einen Leitfaden für die Beratungspraxis, Hinweise für Betroffene sowie Materialien für die Advocacy- und Kampagnenarbeit erarbeiten. Wir bitten daher, uns entsprechende anonymisierte Fälle zukommen zu lassen.
- Bitte beachten Sie, dass wir im Rahmen dieser Recherche keine individuelle Rechtsberatung bieten können. Leider kann auch nur in wenigen ausgewählten Fällen Rechtshilfe durch einen Rechtshilfefonds gewährt werden.
- Die Sichtung der Fälle erfolgt durch die Volljuristin Kyra Eckert und in Zusammenarbeit mit dem Beratungsteam von Pro Asyl.
- Wir legen großen Wert auf den Schutz der Betroffenen. Bitte anonymisieren Sie die Fälle durch ein Pseudonym. Verzichten Sie bitte auf die Übermittlung von Informationen, die eine eindeutige Identifikation der Betroffenen ermöglichen würden.
- Die anonymisierten Einzelfälle werden nur nach Absprache mit den Betroffenen und mit ihren Rechtsberater*innen für die Öffentlichkeitsarbeit verwendet.
Um Ihnen die Übermittlung zu vereinfachen, existiert ein Online-Formular, dass die die relevantesten Informationen abfragt. Alternativ steht ein PDF-Formular zur Verfügung. Bitte senden Sie diesen an
Warum ist der Gang zur syrischen Botschaft oft unzumutbar?
Je nach Fallkonstellation haben die Betroffenen unterschiedliche Gründe, warum ihnen ein Besuch bei der Botschaft bzw. der Passerwerb zumindest subjektiv unzumutbar erscheint. Die wichtigsten Gründe sind:
- Die syrische Botschaft in Berlin ist eine Vertretung des Assad-Regimes, das in Syrien mit brutaler Verfolgung und militärischer Gewalt gegen tatsächlich oder auch nur vermeintlich oppositionell gesinnte Bevölkerungsteile vorgeht. Die Mehrheit der syrischen Geflüchteten in Deutschland gibt die Gewalt des Assad-Regimes als Grund ihrer Flucht an.
- Viele jener Syrer*innen haben anstatt eines Flüchtlingsschutzes nur subsidiären Schutz oder eine andere Schutzform erhalten, die es den Ausländerbehörden ermöglicht, sie zum Besuch der Botschaft aufzufordern. Viele der Betroffenen sehen sich genötigt, sich in der syrischen Botschaft den Behörden jenes Staates auszuliefern, der sie zur Flucht zwang oder gar verfolgte und dort hohe Summen zu entrichten.
- Die syrische Botschaft in Berlin dient als Stützpunkt syrischer Geheimdienstmitarbeiter, die die syrische Exilcommunity in Deutschland beobachten und ihre Erkenntnisse an ihre Kollegen in Syrien weitergeben. Da Sippenhaft typisch für die Repressionen des Assad-Regimes ist, müssen in Deutschland lebende Syrer*innen unter Umständen fürchten, dass die beim Botschaftsbesuch über sie gesammelten Informationen dazu führen können, dass ihre in Syrien verbliebenen Angehörigen Repressionen erleiden. Die syrischen Geheimdienste sind für willkürliche Inhaftierung, Folter, Tötungen und Verschwindenlassen in vielen Zehntausenden Fällen verantwortlich. In Deutschland stehen ehemalige Mitarbeiter dieser Geheimdienste wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht.
- Mitarbeiter*innen syrischer Behörden verfolgen nicht selten auch finanzielle Interessen, verlangen häufig Bestechungsgelder und nutzen die durch Botschaftsbesuche bzw. Passanträge gewonnen Informationen über den Aufenthaltsort geflohener Syrer*innen in manchen Fällen auch, um Geld zu erpressen oder Geflohenen ihr Eigentum in Syrien abzupressen. (Siehe etwa hier)
- Das Assad-Regime nutzt die syrischen Geflüchteten auferlegte Verpflichtung zum Passkauf systematisch als Devisenquelle. Die syrischen Botschaft in Berlin verlangt nach Angaben der Bundesregierung 250 bis 705 Euro für eine Passausstellung. Betroffene berichten teils von anderen Beträgen, von zusätzlich erforderlichen Bestechungsgeldern und einem generell hohen Maß an Willkür. Innerhalb Syriens belaufen sich die Passgebühren nur auf einen Bruchteil der Summen, die von Geflüchteten im Ausland erhoben werden.
- Das Assad-Regime wird aufgrund seiner Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit international sanktioniert, unter anderem auch durch die Europäische Union. Die Praxis, syrische Geflüchtete zum Kauf der überteuerten syrischer Pässe zu nötigen, unterläuft diese Sanktionen und ist daher auch in außenpolitischer Hinsicht problematisch.
Unzumutbarkeit nur selten anerkannt
Immer wieder legen syrische Geflüchtete gegenüber den Ausländerbehörden dar, dass ein Botschaftsbesuch aus den genannten Gründen für sie unzumutbar ist. Seit einer bundeseinheitlichen Regelung von 2018 werden Unzumutbarkeitsbekundungen nur in wenigen Fällen akzeptiert. Mit Hilfe der Fallsammlung sollen Erkenntnisse für die Beratungspraxis gewonnen werden wie auch Substanz für eine politische Kampagne gegen die aktuelle Behördenpraxis.
Neue Dringlichkeit
Die Problematik scheint aktuell besonders dringlich. Viele der um das Jahr 2015 nach Deutschland geflohenen Syrer*innen stehen kurz davor, eine Niederlassungserlaubnis zu beantragen. In diesem Zusammenhang veröffentlichte das Bundesinnenministerium vor Kurzem eine Richtlinie für die Ausländerbehörden, die diese auffordert, vor erteilen der Niederlassungserlaubnis umfangreiche Identitätsprüfungen vorzunehmen. Dies droht dazu zu führen, dass Ausländerbehörden verstärkt syrische Geflüchtete aufgefordert, sich an die syrische Botschaft in Berlin zu wenden.
Erdbeben
Die Lebensbedingungen waren bereits vor den verheerenden Erdbeben am 6. Februar 2023 im Nordwesten Syriens katastrophal – der Großteil der Bevölkerung war auf humanitäre UN-Hilfe angewiesen. Seit der Naturkatastrophe ist die Not in der Region explodiert. Und Hilfe von außen kaum vorhanden.
Idlib
Die Region Idlib gehört zu den letzten Landesteilen außerhalb der Kontrolle des Assad-Regimes. Das Regime hat im Zuge seiner bisherigen Offensiven Tausende Kämpfer, aber auch Zehntausende ZivilistInnen und viele zivile AktivistInnen in die von islamistischen Milizen dominierte Region vertrieben. Die humanitäre Situation in Idlib ist schwierig bis katastrophal und kann sich jederzeit durch eine militärische Eskalation weiter verschärfen.
Frauenrechte
Im Rahmen unserer Arbeit setzen wir uns für Selbstbestimmung und die Gleichbehandlung der Geschlechter ein. Der Krieg stellt Frauen vor besondere Herausforderungen, in denen auch gesellschaftliche Rollen neu verhandelt werden. Hier dokumentieren wir die Frauen-Arbeit unserer Partner*innen, sowie feministische und gesellschaftliche Themen rund um die Themen Geschlecht im Kontext von Syrien.
#DefundAssad
Geflüchtete aus Syrien werden von den deutschen Behörden aufgefordert, einen nationalen Reisepass bei der syrischen Botschaft zu beantragen – beispielsweise wenn es um die Aufenthaltsverlängerung oder Einbürgerung geht. Durch die immer weiter willkürlich steigenden Passgebühren nimmt das Assad-Regime so jährlich dreistellige Millionenbeträge ein.
Sanktionen
Als Reaktion auf die gewaltsame Unterdrückung der syrischen Zivilbevölkerung haben die EU, die USA und weitere Staaten Sanktionen gegen das Assad-Regime verhängt. Explizit ausgenommen sind Importe von Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen humanitären Hilfsgütern. Allerdings haben die Sanktionen dennoch Nebenwirkungen für die syrische Zivilbevölkerung. Die Sanktionen sind daher umstritten. Hier sammeln wir Hintergründe, Meinungsbeiträge und Quellen zur Debatte.
Türkei in Syrien
Die Türkei ist ein wichtiger Akteur in Syrien, besonders seit dem ersten türkischen Einmarsch 2018 in Nordsyrien. Teile Nordsyriens stehen faktisch unter türkischer Besatzung, die kurdisch geprägte Selbstverwaltung sieht sich immer wieder türkischen Angriffen ausgesetzt. Im Schatten des Ukrainekriegs bereitet Erdogan eine weitere Offensive auf den syrischen Norden vor.
Ukraine und Russland
Bevor Russland in die Ukraine einmarschierte, war sein Militär schon jahrelang in Syrien aktiv. Dort haben wir die russischen Kriegsverbrechen mitverfolgt und einiges über das autokratische Regime und seine militärischen Taktiken gelernt. Diese Expertise bereiten wir neu auf und legen einen Fokus auf Russland und die Ukraine.
Talking about the Revolution
Talking about the Revolution ist ein Weiterbildungs- und Vernetzungsprojekt: Junge syrische Aktivist*innen arbeiten ihre persönlichen Erlebnisse im unbewaffneten Widerstand gegen die Assad-Diktatur und in der Konfrontation mit dem Terror der Dschihadisten auf, um sich bundesweit auf Veranstaltungen damit Gehör zu verschaffen.
Syrischer Frühling-Blog
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Chemiewaffen
Kaum ein Aspekt des Syrienkonflikts ist Gegenstand einer so erbarmungslosen Propagandaschlacht geworden wie der Einsatz international geächteter Chemiewaffen. Regelmäßig widerlegen wir deshalb Desinformation und tragen Fakten zusammen. Diese Fakten sind eindeutig: UN und OPCW haben dem Assad-Regime den Einsatz von Sarin- und Chlorgas nachgewiesen.
Gefangene
Die syrischen Geheimdienste haben Zehntausende Menschen inhaftiert, gefoltert und ermordet, rund 100.000 Menschen gelten bis heute als verschwunden. Auch viele aufständische Gruppierungen haben Menschen verschleppt.
Libanon
Der Libanon erlebt seit Oktober 2019 eine Art zweiten arabischen Frühling. Die junge Generation hat genug vom korrupten, klientilistischen und undemokratischen konfessionellen Proporzsystem. Die Proteste wurden aber bald überschattet von einer massiven Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie. Seit der gewaltigen Explosion im Beiruter Hafen am 4. August 2020 gibt es wieder Proteste: Kaum etwas bringt das Staatsversagen so auf den Punkt wie diese Katastrophe. Die selbstorganisierte Zivilgesellschaft des Libanon braucht dringend Unterstützung, sie ist aktuell das einzige, das Hoffnung auf bessere Verhältnisse birgt.
Der kurdisch geprägte Nordosten
Die kurdisch geprägte Region im Nordosten Syriens wird von der kurdischen Partei PYD bzw. der kurdischen Miliz YPG kontrolliert. Die Situation in der Region gilt, seitdem der »IS« weitgehend vertrieben ist, für Syrien als vergleichsweise stabil, aber auch hier drohen viele Risiken.
Flucht und Asyl
Fast 6 Millionen SyrerInnen sind vor Krieg und Verfolgung ins Ausland geflohen, rund eine halbe Million von ihnen nach Deutschland. Die zunehmend repressive Asylpolitik Deutschlands und der EU zwingt Flüchtlinge oft auf lebensgefährliche Routen, verhindert in vielen Fällen den Familiennachzug und führt - vor allem an den EU-Außengrenzen - zu menschenunwürdigen Lebensbedingungen.
Assad-Regime
Welche Rolle spielt die bald seit 50 Jahren Syrien beherrschende Clique der Assads im Syrien-Konflikt? Welche Mittel wählte das Regime, um den 2011 im Zuge des arabischen Frühilings ausgebrochenen Aufstand niederzuschlagen? Dank welcher Strategien und Verbündeten hält es sich bis heute an der Macht?
"Islamischer Staat" (IS) in Syrien
Die dschihadistische Terrormiliz »IS« (vormals »ISIS«) kontrollierte ab Sommer 2013 weite Gebiete Syriens und des Iraks und machte weltweit mit Gräueltaten auf sich aufmerksam. Mittlerweile verlor der »IS« fast alle seine Territorien. Zu behaupten, der »IS« sei besiegt, ist jedoch unangebracht: Weiterhin verübt die Organisation schwere Anschläge.